Wenn man nie über seine Grenzen und inneren Widerstände hinweggeht, würde man so manches Mal nach 30 min Laufen oder Wandern aufhören und bei jedem kalten Wind oder steilem Aufstieg umkehren.  Ein gewisses Maß an „innerem Widerstand überwinden“  braucht es also unbedingt, um sich weiterzuentwickeln und konditionell besser zu werden. Auf der anderen Seite braucht es auch ein gesundes Maß an „auf sich gut schauen“ und ein sich anpassen auf die äußeren Umstände.
Also wo ist da die Grenze beim „über die Grenzen gehen“?

Bei meinen Reiseleitungen im Himalaya sind für mich immer die sehr sportlichen Menschen in der Gruppe, die am meisten gefährdeten Kandidaten für Höhenprobleme. Denn diese ignorieren oft meine Verhaltensregeln zur Höhenanpassung und überfordern sich bereits in den ersten Tagen und werden dann oft prompt krank! Menschen, die sehr sportlich und leistungsbeton sind – sind es nämlich gewöhnt oft über innere Grenzen und starke Widerstände des eigenen Körpers hinwegzugehen.
Weniger fitte Menschen sind da  – meiner Erfahrung nach – viel vorsichtiger und hören da besser auf die Ratschläge und auf ihre Körpersignale.

Ein Überschreiten der inneren Widerstände mag beim sehr schnellen Trainingslauf im Gemeindewald noch echt voll ok sein und auch am Sprint auf den bekannten Hausberg ein gutes Kreislauftraining darstellen. Aber im Himalaya auf über 3. – 4.000 m Seehöhe herrschen andere Bedingungen und dann ist dieses gewohnte Ignorieren der Signale des Körpers fatal.
Das gleiche gilt bei zu mutigen Erstversuchen am Klettersteig oder im hochalpinen Gletschergelände.

Ich finde innere Grenzen überwinden sollte man nur dann, wenn man die äußeren Umstände und die Bedingungen schon sehr gut kennt, gut abschätzen kann und bereits viel Erfahrung mit dem neuen Umfeld hat.
Zudem ist es beim ersten versuchsweise „über die eigenen Grenzen hinaus gehen“ schon auch immer gut, wenn Versorgungs- und Rettungsmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe sind und nicht viele Tageswanderungen entfernt, wie im Himalaya.

Also ist es wie gesagt meist kein Problem mal sehr schnell den bekannten Hausberg rauf zu rennen.
In unbekanntem Terrain, im Ausland und in großen Höhen ist Vorsicht und ein wirklich sehr gutes „auf sich und sein eigenen Ressourcen schauen“ angebracht!

Zudem muss man bei allen längeren Touren im Hochgebirge weltweit sowieso unbedingt immer Leistungs-Reserven einplanen, falls mal das Wetter oder die Wegumstände sich ungeplant verschlechtern.

Ja und in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns ja beim Bergwandern und Bergsteigen:
Zwischen „sich fordern und eigene Grenzen überwinden“ – und „gut auf sich schauen und sich nicht kopflos selbst zu gefährden“.

Aber man kann das auch auf das ganze Leben übertragen: Sich zu fordern und selbstbestimmt die eigenen Grenzen zu verschieben ist gut und das hat auch etwas mit „Wachstum“ zu tun. ABER: Immer auch gesunde Grenzen zu ziehen und zu bewahren ist ebenso wichtig. Auch bei anderen Ländern und mit anderen Kulturen gilt, dass es wichtig ist Grenzen zu überwinden, aber dann auch wieder das Eigene gut zu bewahren und gesunde Grenzen zu setzen.

Spannendes Thema, oder?

Wie ist deine Erfahrung damit? Ich freu mich über Feedback und Erfahrungsberichte!


 

 

Comment ( 1 )

  • Peter

    Wenn man jung und fit ist, ist das Ego groß und die Erfahrung gering. Grenzen zu übergehen, ist eine Herausforderung. Was soll mir denn passieren? Der Wandel passiert, wenn man selbst verantwortlich für andere Leben ist. Da geht man zwar auch über Grenzen hinaus, aber man wird sich einer Grenze bewusst. Nämlich der, der Verantwortung über ein anderes Leben. Wer seine Grenzen, durch zu schnelles gehen in einer Gruppe überschreitet und dann Höhenkrank wird, gefährdet die Gruppe. Schließlich muss sich der Führer der Gruppe, um den Höhenkranken kümmern. Das geht zu Lasten der Gruppe. Wenn ich mit einer Gruppe im Elbsandsteingebirge unterwegs bin, wird einer der fit ist als verantwortliches Schlusslicht eingeteilt. Das funktioniert.

    Viele Grüße aus Dresden
    Peter Ehrlich

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