Weltweitwandern-Gründer Christian Hlade im Interview mit Klaus Höfler von der „Kleinen Zeitung“ über Overtourism, schlechtes Gewissen, „Aha“-Erlebnisse und Reisen als Brücke zwischen Kulturen in Zeiten von gesellschaftlichen Brüchen.

 

Die coronabedingten Lockdowns haben auch Reisebeschränkungen mit sich gebracht. Haben Sie da Ihr Geschäftsmodell hinterfragt?

CHRISTIAN HLADE: Die Pandemie wirkt tatsächlich wie ein Brennglas, das einen alles hinterfragen und überprüfen lässt. Das war auch bei mir so. Dieses Zerlegen und Infragestellen des Geschäftsmodells hat aber dazu geführt, zu erkennen, dass das, was wir machen – nämlich Kulturen zu verbinden, Menschen aus verschiedenen Lebenssituationen zusammenzubringen – das ist, was ich aus Überzeugung mache, was ich gut kann und wofür ich brenne. Bei einem Geschäftsmodell ist es ja so wie mit Werten.

 

Wie meinen Sie das?

HLADE: Werte kann man auch nicht einfach an- und ausziehen. Sie entwickeln sich und werden beständig. Auch, wenn es immer verschiedene Phasen gibt.

 

Welche zum Beispiel?

HLADE: Anfangs wurden wir mit unseren Wanderreisen ein bisschen als „die Spinner“ angesehen. Bei der ersten Ferienmesse vor rund 20 Jahren in Graz haben sie mit dem Finger auf uns gezeigt, gelacht und sind vorbeigegangen. Das hat sich dann gewandelt. Und plötzlich waren wir zufällig total „in“. Bis die Pandemie kam und die gesamte Reisebranche lahmlegte.

 

Parallel liegen eilige Kurztrips übers Wochenende für wenige Tage nach irgendwohin weiterhin im Trend. Wie kann ein Urlaub in einer sich derart beschleunigten Gesellschaft noch sein Erholungsversprechen einhalten?

HLADE: Für mich erfüllt Urlaub und Reisen genau einen Gegentrend zum hektischen und ständig vernetzten Alltag. Unsere Guides erinnern uns immer wieder – sei es in der Wüste Marokkos, in den Bergen in Nepal, entlang der Levadas auf Madeira –, ins Hier und Jetzt zu kommen und den Moment zu genießen. Auf Wanderreisen ist das herrlich möglich: Ich gehe, ich bewege mich, ich komme zu mir. Und es gibt viel Zeit zum Reflektieren. Zeit für sich zu haben, ist Erholung. Die besonderen Reiseerlebnisse sind die Zugabe.

 

Aber geht sich Reisen ganz ohne schlechtes Gewissen überhaupt noch aus? Stichwort: Umweltbelastungen.

HLADE: Es geht gar nichts mehr ohne schlechtes Gewissen. Fleisch essen, Auto fahren, Häuser bauen: Alles, was wir tun, ist zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Beim Reisen sehe da einen positiven Trend.

 

Welchen?

HLADE: Seltener, bewusster und mit längerer Aufenthaltsdauer zu verreisen. Unsere Gäste machen schon noch Flugreisen – aber sie überlegen sich das besser. Es gibt ein bewussteres Umgehen damit. Zu unserer Polen-Reise kamen zuletzt über zwei Drittel mit dem Zug.

 

Ist Nachhaltigkeit in Zeiten des Klimawandels ein Wert, der wichtiger wird?

HLADE: Dieses Bewusstsein war unter unseren Gästen immer schon da. Aber generell sind nachhaltiges Reisen und der Wunsch nach authentischen Reiseerlebnissen Dinge, nach denen Menschen mehr denn je suchen. Sie wollen hinaus in die Natur, Dinge bewusst erleben. Auf meinen Reisen in den letzten Monaten in Albanien, Kroatien und auch in Jordanien habe ich erlebt, wie wohl sich Menschen fühlen, wenn sie mit Herz und Seele in ein Land eintauchen können und die Einfachheit als Luxus erleben. Die Dankbarkeit für das Erleben besonderer Augenblicke ist größer geworden. Dieser Trend wird sich verstärken und jeder, der sich dafür entscheidet, wird selbst seinen Mehrwert daraus ziehen. Ich denke, es geht hier in eine richtige Richtung.

 

Eröffnet das Chancen für neue, andere Angebote?

HLADE: Durch die Suche nach unberührter Natur sehe ich tatsächlich eine große Chance für neue und eher unbekannte Regionen. Ich war dieses Jahr zum Beispiel erstmals in Polen. Da gibt es eine Vielzahl versteckter Schätze: Urwälder mitten in Europa, kleine Initiativen wie zum Beispiel den Fischer, der uns in sein Räucherzelt eingeladen hat, endloses Gehen am weißen Sandstrand. Ich war total begeistert – und das in unserer direkten Nachbarschaft, mit einer direkten Zugverbindung von Graz nach Krakau. Viele Regionen könnten jetzt ihr Potenzial ausschöpfen, um Wander- und Outdoorbegeisterte anzuziehen. Immer natürlich mit Maß und indem man auf sanften Tourismus setzt.

 

Zuerst kommen die einzelnen Entdecker, dann kleine Gruppen, dann die Massen und am Ende klagt man über „Overtourism“.

HLADE: Die Reisebranche ist in vielen, auch ärmeren Ländern ein wichtiges wirtschaftliches Standbein. Da ist es schwierig, zu sagen „Jetzt ist es genug“, wenn dort die Chancen für Menschen durch den Tourismus steigen. Tatsächlich gibt es aber an vielen Orten – auch in unseren heimischen Alpenregionen – akuten Handlungsbedarf. Wandern und andere Outdoor-Sportarten wie das Skitourengehen und Schneeschuhwandern erleben ja gerade einen Boom. Corona hat das seit Jahren bestehende Wachstum noch weiter verstärkt. Manche Gebiete werden von sehr vielen natursuchenden Menschen buchstäblich „gestürmt“. Hier kommt es dann zu negativen Begleiterscheinungen wie zugeparkte Zufahrten zu Bauernhöfen und Almen, Müll- und Lärmprobleme. Das sind Auswüchse, die man ernst nehmen muss.

 

Was lässt sich gegen diese Entwicklung tun?

HLADE: Es braucht dringend geeignete Maßnahmen zur Steuerung, besseren Verträglichkeit und besseren Einbindung der örtlichen Bevölkerung, um ein weiteres Verhärten der Fronten zu verhindern. Im letzten Jahr habe ich mit vielen Engagierten als „Initiative ErLebeNatur“ an Lösungen gearbeitet. Bei Weltweitwandern gehen wir seit jeher einen Weg des verantwortungsvollen Reisens. Wir schauen, dass wir mit lokalen Guides, Angeboten und Unterkünften arbeiten. Mit unserer Art des Reisens erlebt man das Land aus den Augen der Einheimischen, nimmt Erfahrungen, Gerüche, Geschmäcker mit. Unsere lokalen Partner können Reiseerlebnisse anbieten, die im Einklang mit Natur und Kultur vor Ort sind.

 

Das Unterwegssein in exotische Destinationen ist positiv besetzt, das Unterwegssein aus diesen Destinationen dagegen negativ. In diesem Gegenverkehrsprinzip ist Migration einmal gut, weil sie einem Erholungstrieb folgt, einmal schlecht, weil sie als Fluchtbewegung aus der Not heraus passiert. Absurd, oder?

HLADE: So ist unsere Welt: widersprüchlich. Es gibt ja auch in Österreich neben sehr großem Reichtum noch sehr viel Armut. Und so ist es auch anderswo.

 

Funktioniert Reisen als Brücke in einer Zeit, in der viel über Brüche und das Auseinanderbrechen der Gesellschaft gesprochen wird?

HLADE: Ja. Das Bedürfnis, gemeinsam –in der Reisegruppe oder mit Freunden – etwas zu erleben, ist groß. Und es ist unglaublich schön und auch wahnsinnig einfach. Einfacher jedenfalls, als man sich das im Vorfeld manchmal vorstellt.

 

Reisen verbindet?

HLADE: Unbedingt. Das ist ein Vorteil des Reisens: Man merkt, dass es zwar große Unterschiede – auch innerhalb der Länder und deren Bevölkerung selbst – gibt, einen ein Schwarz-Weiß-Denken aber auch nicht weiterbringt, weil es nicht stimmt. Es ist vor Ort nicht so einseitig, wie man es von außen sieht. Wenn man das einmal live mitbekommen hat und miteinander redet, kann man etwas nicht mehr so pauschal verurteilen. Reisen liefert immer viele „Aha“-Erlebnisse.

 

ZUR PERSON

Christian Hlade, geboren 1964, ist ausgebildeter Architekt und hat vor 20 Jahren das Reiseunternehmen „Weltweitwandern“ gegründet, das ökologisch nachhaltige Wanderreisen auf der ganzen Welt anbietet. Über den Verein „Weltweitwandern Wirkt!“ werden Bildungsprojekte in verschiedenen Reisezielländern unterstützt. Hlade hat mehrere Bücher über das Wandern geschrieben.

Foto vom Artikel in der Kleinen Zeitung


 

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