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Über eine Millarde Menschen verreisen weltweit pro Jahr. Findet man da überhaupt noch ruhiges Urlaubsglück?
In den 1950er-Jahren zählte man weltweit 25 Millionen Touristen. 2017 waren bereits fünfzig Mal mehr Menschen – also über 1,3 Milliarden – touristisch auf Achse. Und ein Ende des Reise-Booms ist nicht abzusehen. Dazu hat das Internet mit Google, Buchungs- und Bewertungsplattformen das Reisen sehr stark verändert. Lohnt es sich angesichts dieser Massenbewegungen überhaupt noch wegzufahren? Und wenn ja wie und wohin? Als leidenschaftlicher Viel-Reisender seit über 4 Jahrzehnten ziehe ich hier eine persönliche Zwischenbilanz und beschreibt den Wandel beim Reisen, den ich selbst miterlebt habe und gebe einige – hoffentlich nützliche Tipps wie man eine gelungene Reise ermöglicht.

Reisen als Suche und Gegenentwurf zur Gesellschaft

Schon als Schüler hat es mich in die Welt hinausgezogen. Per Interrail und sehr oft auch mit ganz schmalem Budget per Autostopp. Reisen war für mich nicht nur ein kurzes Aussteigen aus dem Alltag  – sondern ein radikaler Aufbruch zu neuen Horizonten, ein Davonlaufen von der als „spießig“ erlebten Welt meiner Elterngeneration und die Suche nach anderen Lebensentwürfen. Reisen als neuer „Lebensstil“. Als ich damals nach meiner Matura 1983 für viele Monate nach Indien und Nepal aufgebrochen bin, lernte ich die weltumspannende Familie der jungen „Traveller“ kennen.

Es war wie eine Offenbarung: Tausende junge Menschen waren damals auf dem sogenannten „Hippietrail“ durch Asien unterwegs. Jeden Tag traf ich neue spannende Bekannte und erfuhr aufregende Lebens- und Reisegeschichten. Ob Australier, Israelis, Deutsche, Franzosen, Engländer, Amis: Es herrschte ein Gefühl eines weltweiten Aufgehoben-Seins und war wie eine riesengroße nicht enden wollende Party. Der „Lonely Planet –Reiseführer“ war unserer gemeinsame Bibel. Allein sein gab es nicht, man lernte immer Mitreisende kennen und adoptierte sich schnell als neue Freunde.

Sesshafte Jahre zum „auf den Boden bringen“ der Inspirationen

Nach vielen wunderbaren Jahren mit vielen langen Reisen, gründete ich in Österreich eine Familie und gleichzeitig mein Reiseunternehmen „Weltweitwandern“. Ich war sesshafter. Es war eine andere, aber auch durchwegs spannende Zeit in meinem Leben.

Midlife-Crisis und nochmaliger Aufbruch zu alten Träumen

Mitten in der Sesshaftigkeit und in einer extremen Überarbeitungsphase hat mich dann die männliche „Midlife-Crisis“ voll erwischt. Ich träumte von der großen Freiheit von „damals“:  Einfach wieder mal mit dem Rucksack und wenigen fixen Plänen losziehen und spontan vor Ort schauen, wohin die Reise sich entwickelt. Die alte Stimmung des weltweiten „Traveln“ und die weltweite Familie der Reisenden von damals wieder spüren. Meine großzügige Frau Carmen (DANKE!) ermöglichte mir damals eine Auszeit und kümmerte sich um meine Familie mit drei Kindern und meine MitarbeiterInnen hielten die Firma am Laufen (auch hier, danke!). Ich stieg – knappe 50 Jahre jung – in Santiago de Chile voll motiviert mit großen Rucksack aus dem Flieger und stürzte mich voller Erwartungen ins ungeplante Abenteuer.
Meine Vorstellung war, es genauso wie vor 30 Jahren in Katmandu anzugehen. Beim ersten Backpackerquartier aus dem Lonely Planet-Reiseführer kam dann gleich die  große Ernüchterung. „Wir sind voll, hier gibt’s nur Platz wenn SIE rechtzeitig online vorgebucht haben.“  Die 10-Betten-Schlafsäle der jungen Backpacker sahen zudem nicht verlockend aus.

Online fand ich dann ein – erstaunlich teures – Einzelzimmer in einem nahegelegenen atmosphärisch eher kühlen Hotel. Mein viel zu schwerer Rucksack mit der teuren Spiegelreflexkamera drinnen wurde schon beim Anmarsch dorthin zur spürbaren Last…
Ich fühlte mich einfach nur einsam und unwohl. Die Frage eines jungen Bussitznachbarn aus Deutschland: „Es muss schon komisch für SIE sein in IHREM Alter hier so alleine herumzureisen…“ brachte dann das Fass zum überlaufen, ich verschob meinen Heimflug nach vorne und flog ernüchtert wieder nach Hause.

Eine gute Erfahrung für mich, denn manch alten Traum muss man ausleben, um zu sehen dass er gar nicht mehr passt.

Was ist bloß mit dem Reisen passiert?

Meine Wahrnehmungen liegen natürlich zum einen an mir, meinem Alter und meinen jetzigen Bedürfnissen.
Ich will nach wie vor große Abenteuer, aber ich möchte dazwischen auch Ruhe und gut  und durchaus auch mal etwas luxuriöser wohnen und schlafen.
Ich möchte wunderschöne Landschaften entdecken, aber auch einmal raffiniertere lokale Speisen essen in einem schönen Restaurant, anstatt mir wochenlang Fertig-Nudel-Packungen mit Wasser aufzukochen.
Aber andererseits hat sich das Reisen auch verändert:

  • Durch das Internet ist das Recherchieren und Buchen von Transport und Quartieren viel einfacher, aber zugleich auch viel weniger spontan geworden.
    Alles ist nun auf den Hauptrouten zwar viel besser organisiert, läuft nun oft viel planbarer – ist dadurch aber auch „abschätzbarer“ und gefühlt weniger Abenteuer.   Für wen wie mich der das Abenteuer und das Ungeplante gesucht hat, war die Erfahrung enttäuschend. Es ist aber nicht per se schlechter, nur anders.
  • Es sind jetzt einfach VIEL mehr Menschen unterwegs.
    Chinesen, Inder, Russen und Brasilianer zum Beispiel haben in großer Zahl erst seit wenigen  Jahren begonnen zu reisen. Die viel größere Menge an Menschen verändert das Reisen an sich.  Beliebte Länder wie zum Beispiel Neuseeland oder auch viele beliebte europäische Städte wie Venedig, Berlin, Rom sind aktuell an  – oder oft schon über – den Grenzen ihrer Kapazitäten.

Meine Tipps für gelungene Reisen

Natürlich zahlt es sich auch jetzt das Reisen noch immer aus. Das kann ich sagen, weil ich diesen Artikel gerade von einer Reise in Neuseeland schreibe. Reisen sind wunderschön und unglaublich bereichernd. Noch immer gilt für mich, dass Reisen wertvolle Inspirationen liefern. Oft kommt man von einer Reise verändert zurück. Was bei der Abreise oft noch als Riesen-Problem gesehen wurde ist nach einigem Abstand und auch Erfahrungen wie es Menschen woanders geht, nicht mehr so ein Ding. Praktisch immer kommt man bereichert zurück.

Es gilt allerdings einige Dinge, die man beim Planen einer Reise bedenken sollte:

  • Berühmte Orte sind zur Hochsaison fast immer sehr voll! Richtige Zeit wählen
    Länder und Orte über die man viel und oft liest und von denen alle reden, sind praktisch immer touristisch und überlaufen! Menschenmassen an berühmten Orten kann man nur vermeiden wenn man zur „richtigen Zeit“ fährt (außerhalb der Saison oder sehr frühmorgens).
  • Gelassenheit: Sie werden auf Ihrer Reise als „Tourist“ nicht alleine sein. Wenn Sie das von Anfang an als Grundbedingung akzeptieren, wird es Ihnen besser gehen.
  • Traumreisen sind nur die, die man sich selber schafft
    Man sollte den Traumreisen-Suggestionen der Tourismusindustrie und der Massenmedien mit gesundem Vorbehalten begegnen und sich seine eigene Meinung bilden.
  • Die eigenen Bedürfnisse richtig einschätzen und danach planen: Organisierte Action oder authentisches Reisen?
    Wenn ich organisierte Action, Komfort und gute Infrastruktur möchte, dann sind bekannte Tourismusorte oder Kreuzfahrten genau mein Ding.
    Suche ich allerdings authentische Reise-Erlebnisse, dann muss ich weniger bekannte Regionen ansteuern und auch gezielt nach solchen Reisezielen Ausschau halten.
    Länder wie Albanien, Kirgistan oder Kolumbien werden noch recht wenig bereist.
    Lokale Guides können einem Orte abseits der Touristenpfade zeigen.
  • Richtige Orte auswählen
    Auch in bekannteren Ländern gibt es wenig besuchte, ruhigere Regionen. Selbst im überfüllten Island in der Hochsaison gibt es weniger besuchte wunderschöne Regionen, wie z.B. die vorgelagerten Westmännerinseln.
  • Gegentrend zum Megatrend!?
    Die starke Konzentration des Tourismus auf manche Länder und Regionen ist zuviel. Die dadurch entstehenden Überlastungssituationen und die Naturzerstörung die einhergeht, wird – da bin ich mir sicher – wieder einen Gegentrend auslösen.
    Genauso wie enttäuschte Kunden nach einem Billigeinkauf von fehleranfälligen technischen Geräten ohne Wartung und Beratung dann wieder mehr Service und Qualität wünschen, werden Reisegäste nach enttäuschenden massentouristischen Erlebnissen, sich wieder nach mehr Authentizität und Natürlichkeit umsehen.

Wohin geht die Reise für Weltweitwandern?

In diesem obenbeschriebenen Spannungsfeld bewegt sich ja auch meine Firma Weltweitwandern.
Natürlich spüren auch wir bei den Buchungen den Trend zu „bekannten“ und „weltberühmten“ Trend-Ländern wie Island oder Kuba. ABER: Durch langjährige Mundpropaganda unserer vielen Stammkunden und unser gezielte Kommunikation laufen bei uns auch viele „leisen“ und nicht so „weltberühmten“- dafür aber  viel authentischeren Ziele extrem gut. Viele unserer Kunden wünschen sich ein Land und dessen Einheimische so kennen zu lernen wie es wirklich ist, abseits der touristischen Pfade und Angebote. Das wollen wir unseren Gästen bieten, indem wir nur mit lokalen Guides und in einer respektvollen Art des Reisens gegenüber der Kultur und Natur des Landes punkten. Das können wir super in nicht so bekannten Reise-Ländern wie zum Beispiel Kirgistan, Montenegro oder Wandern in Marokko bieten. Ich denke in diesem Spektrum und dessen aktiver Kommunikation liegt auch unsere Zukunft!


 

 

Comments ( 6 )

  • Müßiggänger

    Danke für diesen Beitrag, der mir in vielen Punkten aus der Seele spricht. Als Sie in den 80ern die Welt entdeckten und die „große Freiheit“ suchten war ich zwar noch nicht geboren, doch alleine in den letzten zehn Jahren hat sich so wahnsinnig viel verändert, sodass ich mich bereits wieder nach den Anfängen meiner „Reisekarriere“ sehne.

    Das Reisen scheint für die „Generation Y“ und nachfolgende Generationen oft zu einer Art Leistungsschau zu verkommen, akribisch dokumentiert auf Instagram & Co. Wer reist weiter, öfter und findet die ultimativen Erlebnisse und „Geheimtipps“? Ich kann den gefühlt tausendsten Traum-Sonnenuntergang nach einem Surftag auf Bali schon nicht mehr sehen.

    Es mag nach Verklärung vergangener Zeiten klingen, aber ich beneide Sie bzw. Ihre Generation doch ein wenig um das Reisen in einer Zeit, in der die Pfade noch nicht so ausgetrampelt waren. Als man „Geheimtipps“ wirklich noch entdeckte und nicht auf Tripadvisor oder einem hippen Reiseblog danach suchte. Als man noch nicht für ein Taschengeld um die halbe Welt fliegen konnte, sondern der Weg an sich noch Teil des Abenteuers war. Als man – mangels entsprechender Technologie – manchmal wirklich wochenlang vom gewohnten Umfeld abgenabelt war und Problemlösung unterwegs ohne Google & Co stattfinden musste.

    Alten Zeiten nachtrauern bringt einen nicht weiter. Dennoch finde ich, man kann – wie immer in der Geschichte – durch einen Blick zurück den Status Quo besser verstehen. Daher finde ich auch sehr interessant, dass Sie von einem „Gegentrend zum Megatrend“ schreiben. Bleibt nur zu hoffen, dass gewisse Länder, Regionen und Städte bis dahin nicht vollkommen unter der Last eines ausufernden Massentourismus in die Knie gehen.

    • Christian Hlade

      Liebe / r Müßiggänger!

      ;-)

      Ich denke auch heute gibts Pionierreisen und Gebiete zum neu entdecken. Haben Sie den Film „Weit“ gesehen? Von einem jungen Paar, das jahrelang um die Welt reiste. Da war viel Abenteuer in Georgien, Kirgistan, Iran, usw. …
      Schöne Reisen wünscht
      Christian Hlade

      • Müßiggänger

        Klingt interessant, vielen Dank für den Filmtipp!

        • Alice

          Liebe/r Müßiggänger!

          Falls Sie zufällig aus Niederösterreich sind: Den Film „Weit“ spielt es nächste Woche (ich glaube, am Dienstag) im Cinema Paradiso in St. Pölten.

          Auf YouTube gibt es außerdem eine Playlist, die „Ohne Flugzeug um die Welt“ heißt und aus den einzelnen Videos des Paares besteht:
          https://www.youtube.com/playlist?list=PLmggO-70ViUrgrYv1GWrJLj9HXxwwYW6-
          (Ich hoffe, die Verlinkung funktioniert, ich war sehr beeindruckt von den beiden – und von der Qualität der Videos, die sind top!)

          Liebe Grüße,

          Alice

  • Alice

    Lieber Herr Hlade!

    Nach Ihrer Erzählung vom Reisen in Südamerika möchte ich Sie beinahe duzen ;)

    Was für ein schöner und wertvoller Beitrag! Inhaltlich kann ich vieles nachvollziehen: Ich war nach meinem Studium ein Jahr lang unterwegs (2006/07). Internet gab es zwar, aber es war noch nicht verbreitet, Smartphones gabe es überhaupt noch nicht. Wie Sie erzählen, lief vieles spontan ab: Wo schlafe ich? Wo esse ich? Womit verbringe ich meine Zeit? Wie komme ich von A nach B? Geplant werden musste nur in Tourismus Hot Spots und selbst da war oft noch Raum für kurzfristige Änderungen im Plan (oder „Plan“, weil richtigen Plan gab es meist keinen).

    Nun hat es sich ergeben, dass mein Mann und ich (er Anfang 40, ich Mitte 30) ab Oktober für längere Zeit unterwegs sein werden: Erst für ca. 2 Monate in Nepal, zu Weihnachten in Österreich, danach in Südamerika und wo immer es uns danach verschlägt.

    Er meint, ich wüsste „wie das geht“ mit dem lange unterwegs Sein. Ich bin allerdings der Meinung, dass sich in den knapp über 10 Jahren seit meiner letzten längeren Reise so viel verändert hat, dass ich das Reisen genauso neu lernen muss wie er es lernen muss, der noch nie mehr als ein paar Wochen unterwegs war.

    Am besten gefällt mir an Ihrem Artikel, dass Sie nicht werten – früher besser, jetzt schlechter -, sondern die Tatsache in den Raum stellen, dass sich die Welt verändert hat. Und dass sie trotz aller Veränderungen immer noch viel Platz für Abenteuer (und Abenteurer) bietet.

    Der Gegentrend, den Sie beschreiben, zeichnet sich meiner Meinung nach schon deutlich ab. Wobei dieser auf lange Sicht wohl wieder zu einem Trend werden wird. Der einen Gegentrend anstößt… und das Rad dreht sich weiter :)

    Vielen Dank für diesen inspirierenden Post und beste Grüße aus Wien,

    Alice

    • Christian Hlade

      Liebe Alice!

      Das freut mich jetzt aber sehr!
      Ja. Unsere Welt ist wunderschön und es zahlt sich aus immer wieder mal aufzubrechen.

      Gute Reise wünscht
      Christian Hlade

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