Ein persönlicher Rück- und Ausblick von Christian Hlade
Mein Ziel?
Mut zu machen. Zu inspirieren. Zeigen, dass es sich lohnt, immer wieder aufzubrechen — in die Welt hinaus, aber auch zu neuen Zielen im eigenen Leben.
August 2013, Lingshed, Ladakh, indischer Himalaya.
Nach 13 Jahren kehre ich an diesen magischen Ort zurück. Kinder aus unserer Solarschule stehen Spalier, begrüßen mich mit Blumen und weißen Gebetsschals. Vor mir liegt die Solarschule, die ich ab 1993 als Projekt initiiert und dann 1999/2000 mit viel Herzblut aufgebaut habe. Der Wendepunkt meines Lebens.
Doch die Wurzeln dieses Moments liegen viel weiter zurück. Sie beginnen in einer Welt, die mir zu eng wurde. In einer Kindheit, die geprägt war von harter Arbeit, Disziplin und dem ständigen Antrieb, etwas leisten zu müssen. Aber auch in einer Kindheit, die eine Sehnsucht in mir wachsen ließ — eine Sehnsucht nach Freiheit, Selbstbestimmung, nach Aufbruch.
Heute möchte ich dich auf diese Reise mitnehmen. Von meinen ersten Träumen als kleiner Bub in Graz, über meine ersten Reisen, mein langes Studium und meine vielen Versuche, eigene Wege zu gehen. Ich erzähle hier von der Gründung von Weltweitwandern mit mittlerweile hunderten Menschen in unserem weltweiten Team-Netzwerk, drei Vereinen, drei Büchern und einer lebendigen Familie mit drei Kindern.
Kapitel 1: Kindheit und Prägung
Aufgewachsen in einer Welt des Fleißes und der Disziplin
Ich wurde 1964 in Graz geboren. Mein Bruder Peter 1967. Mein Vater wurde in einem kleinen Dorf an der Drau geboren, im heutigen Slowenien. Die Familie sprach Deutsch. Und genau das wurde ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Verhängnis. Sie mussten über Nacht mit einem kleinen Koffer fliehen. Hätten die Partisanen sie entdeckt, wäre es vorbei gewesen.
Meine Mutter erlebte das Gleiche. Sie war Sudetendeutsche, ihre Familie lebte in Tschechien. Auch sie mussten weg — weil sie nach dem Krieg auf der falschen Seite der Grenze waren.
Über viele Stationen landeten meine Eltern in Graz, lernten sich kennen und schafften es — aus dem Nichts — sich eine Existenz aufzubauen. Mein Vater begann eine Lehre als Maurer. Er arbeitete hart, wurde Baupolier. Ging abends zur Schule, machte die Baumeisterprüfung. Und gründete schließlich seine eigene Baufirma.
Meine Mutter hatte keine großen Chancen auf Bildung. Sie besuchte eine kurze Büroschule, dann musste sie sich um ihre jüngeren Geschwister kümmern. Ihre Mutter war beschäftigt mit dem Wiederaufbau, ihr Vater in Kriegsgefangenschaft — da blieb wenig Zeit für die Kinder. Also übernahm meine Mutter Verantwortung. Später wurde sie die Buchhalterin in der Baufirma meines Vaters. Sie führten das Unternehmen gemeinsam. Arbeiten, leisten, durchhalten — das war das Credo unserer Familie.
Bücher als Flucht in andere Welten
Ich war kein sportliches Kind. Im Gegenteil. Mollig, schlecht im Fußball, nicht besonders abenteuerlustig. Aber ich las. Verschlang ein Buch nach dem anderen: Karl May, Jules Verne, Heinrich Harrer, Herbert Tichy, Sven Hedin, Stanislav Lem. Ich tauchte ein in ferne Länder, fremde Kulturen. Träumte mich weg — in die Wüsten Afrikas, auf die Berge Tibets, auf ferne Planeten. In der Schulbibliothek des Gymnasiums habe ich fast jedes Buch gelesen. Ich wollte raus und fremde Welten entdecken — zunächst aber nur in meinen Träumen.
Der Drang zum Ausbruch
Mein Elternhaus war liebevoll – aber für mich total eng. Alles drehte sich ums Arbeiten, ums Weiterkommen, um Sicherheit, um die Baufirma als Familienunternehmen. Aus dieser Enge wollte ich weg. Ich wollte unabhängig sein. Frei sein. Mit 15 begann ich dann auszubrechen.
Kapitel 2: Erste Reisen und Ausbruchsversuche
Mit Autostopp in die Freiheit
Ich begann mit kleinen Fluchten. Mit 15 per Autostopp nach Wien zu Rockkonzerten: The Who, Led Zeppelin. Mit 16 dann in die Türkei und nach Griechenland. Und dann immer weiter: nach Marokko, Tunesien, Nordafrika. 1980 landete ich mitten im Militärputsch in Istanbul – ohne es zu wissen. Mit Interrail durchquerte ich Europa: Frankreich, Spanien, verbrachte Wochen in der Toskana. Ich saugte alles auf – neue Kulturen, neue Lebensweisen. Und ich wusste: Das ist total meine Welt!
Visionen und Notizbücher — der Beginn meiner Reise
In dieser Zeit begann ich, Selbsthilfebücher zu lesen. Besonders „Hilf dir selbst, sonst hilft dir keiner“ von Joki Kirschner prägte mich. Sein Rat: „Schreib deine Visionen auf, zeichne, visualisiere dir deine Ziele!“ Das tat ich. Und ich tue es bis heute. Über 100 Notizbücher habe ich inzwischen mit meinen Gedanken, Ideen, Plänen gefüllt. Ich skizziere, formuliere, zeichne.
Meine frühen Visionen lauteten damals so ähnlich wie: „Ich will einmal von meinen Träumen leben. Ich will etwas Großes bewegen. Ich will von meinen Reisen leben können, zum Beispiel als Reiseschriftsteller. So wie Hemingway.“
Diese ersten Ausbruchsversuche waren mehr als nur jugendliche Rebellion. Sie waren der Beginn eines Weges, der mich zu dem führen sollte, was ich heute bin. Jede Reise, jede neue Erfahrung, jede Begegnung formte meine Vision von einem Leben, das anders sein sollte als das, was man mir vorgelebt hatte. Die Reisen lehrten mich früh, dass es viele Arten gibt zu leben, zu denken, die Welt zu sehen. Sie öffneten mir die Augen dafür, dass der vorgezeichnete Weg nicht der einzige sein musste. In meinen Notizbüchern hielt ich nicht nur Erlebnisse fest, sondern auch Träume und Pläne für eine Zukunft, die ich mir damals noch gar nicht richtig ausmalen konnte. Wenig unterstützend damals mein Vater: „Aus dir wird einmal nichts werden, wenn du immer nur wegfährst und von Reisen träumst…“
Kapitel 3: Architekturstudium und beruflicher Einstieg – Ein Weg voller Zweifel, Reisen und Lernen
Ich war ein unsicherer Student. Mein Studium der Architektur in Graz wurde zu einem harten Weg — voller Selbstzweifel. „Ich bin nicht gut genug. Ich bin kein guter Künstler. Ich bin ein schlechter Architekt. Ich habe keine Chance.“ Diese Gedanken begleiteten mich fast ein Jahrzehnt lang. Ich wusste, dass es in Graz hunderte Architekten gab — und ich hatte das Gefühl, dass ich neben all den besser Begabten untergehen würde. Mein Studium zog sich über 19 Semester, fast zehn Jahre lang, und war geprägt von wenig Höhen und vielen Tiefen.
Aber in diesen Jahren lernte ich eine meiner wichtigsten Lektionen: Zweifel sind nicht das Ende — sie sind oft der Anfang von etwas Großem.
Denn eines spürte ich ja seit jungen Jahren: „Ich möchte etwas Großes schaffen, etwas leisten, etwas bewegen. Von meinen Träumen leben können, sie verwirklichen, Reisen!“
Reisen als Gegenpol zum Leistungsdruck
Parallel zu meinem Studium und den Nebenjobs in Architekturbüros zog es mich immer wieder in die Ferne. Nach Indien, Nepal, Sri Lanka, Tibet, Peru, Ecuador, Thailand, Burma, Ägypten, Island,… Ich reiste, wann immer es ging — es war mein Gegenpol zum engen, leistungsorientierten Elternhaus. In der Ferne fühlte ich mich lebendig, frei, weit weg von den Zwängen der Gesellschaft, in die ich hineingeboren wurde. Und ohne es zu wissen, begann ich dort etwas zu tun, das mein Leben für immer verändern würde.
Die ersten Vorträge — Lernen durch Tun
Nach meinen Reisen begann ich, über meine Erlebnisse zu berichten. Ich hielt hunderte Multivisionsvorträge in Vortragssälen und an Schulen, stellte meine Fotografien aus, schrieb Artikel und setzte mich intensiv mit Pressearbeit auseinander. Ich gestaltete meine eigenen Plakate, schrieb Texte, verschickte massenweise Briefe. Ich akquirierte Veranstaltungsorte, bewarb meine Vorträge, lernte, mit Menschen umzugehen und Sponsoring-Kooperationen einzufädeln.
Das Entscheidende: Ich übte. Immer und immer wieder. Kein Studium bereitete mich auf das Unternehmertum vor. Ich musste es selbst tun. Vorbild war natürlich schon das von mir damals abgelehnte Elternhaus mit dem Bauunternehmer-Vater.
Eine der großen Wahrheiten über Erfolg liegt im Learning by Doing: Talent wird überschätzt — Dranbleiben wird unterschätzt.
Die 10.000-Stunden-Regel (Malcolm Gladwell, „Outliers“) besagt, dass man in einem Bereich nur dann gut wird, wenn man mindestens 10.000 Stunden lang übt. Ich hatte das Glück, dass mich meine Reisen und Vorträge genau dazu zwangen. Präsentation, Kommunikation, Marketing — all das lernte ich in der Praxis. Und ich verstand: Erfolg ist über weite Strecken hin nicht reiner Zufall. Natürlich braucht man auch Glück und gute Bedingungen. Aber Erfolg ist auch das Ergebnis harter, kontinuierlicher Arbeit.
Ich hielt hunderte Multivisionsvorträge in Vortragssälen und an Schulen,
stellte meine Fotografien aus, schrieb Artikel und setzte mich intensiv mit Pressearbeit auseinander.
Eine Vision nimmt Gestalt an — Meine Diplomarbeit
1993 — nach all den Zweifeln und langen Jahren des Studiums — kam der Moment, in dem ich mein Wissen mit meiner Leidenschaft verbinden konnte. Meine Diplomarbeit: Die Planung einer Schule auf 4.000 Metern Höhe in Lingshed, einem kleinen Dorf im Himalaya. Es war nicht einfach ein theoretisches Architekturprojekt. Es war eine Vision, die begann, real zu werden. Ich reiste ins Hochland von Ladakh, wanderte fünf Tage zu Fuß über zwei Pässe, die höher als 5.000 Meter waren, und plante eine Schule für eine der abgelegensten Regionen der Welt.
Ich wusste damals ja noch nicht, dass diese Idee Jahre später mein ganzes Leben verändern würde.
Die harte Realität — Das Ende der Vorträge als Lebensgrundlage
Denn zunächst holte mich die Realität ein. Die Vorträge, die mich so geprägt hatten, waren keine wirkliche Lebensgrundlage. Satellitenfernsehen und neue Reportageformate im Fernsehen machten meine Art des Geschichtenerzählens weniger gefragt. Ich musste einen „normalen“ Job annehmen — und wurde Zeichner („Zeichensklave“) in Architekturbüros.
Ich arbeitete acht Jahre lang als Architekt, zuerst bei Herwig Moosbrugger, dann bei Werner Nussmüller. Beide wurden nicht nur meine Chefs, sondern auch enge Freunde und wichtige Mentoren. Ich lernte in denen Büros viel über Teamführung, Zusammenarbeit, Unternehmenskultur. Doch es war nicht meine Erfüllung. Ich wollte meine eigene Vision ins Leben bringen. Eben etwas „Großes“, etwas „Eigenes“ schaffen.
Ich fühlte mich wie gefangen. Mein Herz war in der Welt der Reisen, der Kulturen, der Begegnungen — doch mein Alltag spielte sich vor Bildschirmen und Zeichenbrettern ab. Es war eine große innere Zerrissenheit, die viele Jahre andauerte.
Denn neben meinem „Brotberuf“ hielt ich in meiner Freizeit Vorträge und sammelte Geld, um die von mir in einem gemieteten Haus und anfänglich zwei Lehrer:innen gegründete Schule in Lingshed zu unterstützen. Das Projekt wuchs und 1995 gründete ich den Verein „Friends of Lingshed“.
1999 wagte ich schließlich den großen Schritt: Ich kündigte meine fixe Anstellung im Architekturbüro, um für ein Jahr in Ladakh „meine“ solarbeheizte Dorfschule in Lingshed zu verwirklichen, also meine Diplomarbeit wirklich zu bauen…
Kapitel 4: Der entscheidende Schritt — Die Gründung von Weltweitwandern
Die ersten Weltweitwandern-Reisen
1999/2000 bot ich – um dieses Auszeit-Jahr zu finanzieren – zwei Reisen nach Marokko und zwei nach Ladakh an — zunächst gar nicht als Geschäftsmodell, sondern um Geld für die Schule zu sammeln. Ein Freund, der mit marokkanischen Teppichen handelte, empfahl mir einen jungen Berber namens Lahoucine als lokalen Partner. Wir organisierten gemeinsam die erste Reise. Lahoucine war ein eher zurückhaltender Mensch. Ich übernahm es daher, aus Reiseführern angelesenes Wissen weiterzugeben und die Gruppe zu betreuen. Die ersten Reisen nach Marokko und Ladakh waren ein voller Erfolg — ausgebucht und mit begeisterten Gästen.
Der Wendepunkt
Im Herbst kam eine weitere Marokko-Reise. Diesmal gab es nur sechs Anmeldungen. Um die Kosten für die Gäste niedrig zu halten, entschied ich mich, nicht selbst mitzureisen. Ich sagte den Teilnehmern: „Lahoucine wird euch führen — er ist großartig, aber er spricht nicht viel. Bitte informiert euch unterwegs selbst mit Reiseführer-Büchern.“
Nach zwei Wochen kehrte die Gruppe zurück — und ich war gespannt auf ihr Feedback. Doch statt Kritik hörte ich begeisterte Berichte: „Das war die schönste Reise meines Lebens!“ Die Gäste erzählten, wie sie durch Lahoucine und seine Kontakte tief in die Berberkultur eingetaucht waren, zu Familien eingeladen wurden, Gespräche über das Leben, das Heiraten, den Alltag führten. Statt eines Reiseführers, der Vorträge hält, war da ein Gastgeber, der sie in sein Leben eintauchen ließ.
Nach diesem Jahr kehrte ich dann nie mehr wieder ins Architekturbüro zurück und die Geschichte von Weltweitwandern nahm ihren Anfang. Nachdem ein soziales Projekt sozusagen „vor“ dem Beginn der Reisefirma stand ist seit Beginn soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit fixer Bestandteil der „DNA“ meiner Firma!
Der Kern unserer Philosophie: Authentische Begegnungen durch lokale Guides
Diese Erfahrung wurde zum Herzstück von Weltweitwandern. Ich erkannte, was eine Reise wirklich wertvoll macht:
- Ein lokaler Guide, der tief mit seiner Heimat verbunden ist – der das Land nicht nur kennt, sondern in ihm lebt
- Echte Begegnungen statt Touristenattraktionen – ein authentisches Eintauchen in eine Kultur, ohne den Filter eines klassischen Reiseleiters
- Reisen mit kleinen Gruppen, die sich Zeit nehmen – wo Wissen nicht durch endlose Vorträge vermittelt wird, sondern im Gespräch, beim Gehen, im gemeinsamen Erleben…und mit Lahoucine verbindet mich eine inzwischen über 25-jährige Freundschaft!
Vom Wohnzimmer zur Marke — Weltweitwandern wächst
Anfangs war Weltweitwandern nur ich, ein Laptop und eine Vision.
Mein kleines Büro war das Wohnzimmer unserer Wohnung in Graz. Meine Frau Carmen unterstützte mich, half mir bei den Buchungen, und wir machten alles selbst: Webseite, Marketing, Kundenservice, Reiseplanung. Doch bald wurden die Reisen zahlreicher, die Gäste mehr, das Netzwerk größer. Es wurde klar: Weltweitwandern wächst.
2003 zogen wir in unser erstes kleines Büro — ein eigener Raum in unserem neu gebauten Familienhaus. Ich stellte meine erste Mitarbeiterin ein, Nadine, die heute meine Schwägerin ist.
2006 folgte der nächste Schritt: der Beitritt zum „Forum Anders Reisen“. Dort lernte ich Gleichgesinnte kennen, tauschte mich mit anderen nachhaltigen Reiseveranstaltern aus, holte mir Inspirationen und baute unser Konzept weiter aus.
Mit jedem Jahr wuchs Weltweitwandern. Wir hatten nun bereits 5 Mitarbeitende.
2007 entschieden wir uns – aus Platzmangel, unser „Wohnhausbüro“ hinter uns zu lassen — wir mieteten unser erstes richtiges Büro in der Grazer Innenstadt. Die Firma wuchs weiter auf 15 Mitarbeitende.
2010 dann der nächste große Sprung: Wir errichteten unser eigenes Weltweitwandern-Basecamp. Ein modernes, nachhaltiges Bürogebäude, selbst geplant – so dass es unsere Werte widerspiegelt.
2019 dann eine nochmalige Erweiterung — Weltweitwandern wurde so groß, dass wir unser Basecamp weiter – auf die doppelte Größe – ausbauen mussten.
2025 arbeiten 33 engagierte Menschen im Weltweitwandern-Basecamp, weltweit sind es viele 100 Guides, Partner:innen und Team-Mitglieder, die unsere über 200 verschiedenen Reisen mit liebevoller Qualität umsetzen.
Aus einer kleinen Idee, aus einem Schulbau-Projekt in Ladakh, wurde so eine weltweite Community aus Gästen, Partnern, Guides und unserem Team.
Die Herausforderungen des Wachstums
Ab zirka 15 Mitarbeitenden — merkte ich: Die Arbeitsweise, die jahrelang gut funktioniert hatte, war nicht mehr tragfähig. Anfangs war unser Team so klein, dass wir einfach alle zusammen in einem zusammenhängenden Büro saßen und uns direkt austauschen konnten. Jeder wusste über alles Bescheid. Doch irgendwann funktionierte das nicht mehr.
Es begann schleichend: Plötzlich waren zu viele Menschen in Meetings, jeder wollte mitreden, Entscheidungen wurden schwieriger. Die Kommunikationswege waren nicht mehr so direkt wie früher. Es wurde immer schwerer, den Überblick zu behalten.
Bis dahin hatte ich immer gedacht, dass eine flache Hierarchie das Beste für unser Unternehmen sei. Aber nun merkte ich: Flache Hierarchien stoßen irgendwann an ihre Grenzen.
Der Kampf zwischen Struktur und Freiheit
Ich wollte keine starren Hierarchien, aber ich wollte auch kein Durcheinander. Also begann ich, mich intensiver mit Unternehmensführung zu beschäftigen. Ich sprach mit anderen Unternehmern (Danke an Josef Zotter, Martin Auer, Heini Staudinger, Mike Fuisz & Florian Weitzer), besuchte Seminare, las Bücher über Teamentwicklung und Führung. Ich suchte nach Lösungen, die zu Weltweitwandern passten, ohne unsere ursprünglichen Werte zu verlieren.
Nach und nach führten wir erste Strukturen ein:
- Verantwortungsbereiche wurden klarer definiert. Jeder bekam feste Aufgaben, statt dass alle alles machten.
- Meetings wurden effizienter. Weniger Diskussionen, mehr Entscheidungen.
- Wir begannen, Prozesse bewusster zu gestalten.
Doch das war kein einfacher Prozess. Ich hatte nie gelernt, wie man ein wachsendes Unternehmen führt — ich musste es mir selbst beibringen. Und während ich versuchte, diese Veränderungen umzusetzen, geschah etwas anderes: Ich spürte immer stärker, dass mir die Energie ausging.
Das Wachstum, das mich eigentlich glücklich machen sollte, wurde zunehmend zur Belastung. Ich war rund um die Uhr mit dem Unternehmen beschäftigt. Ich nahm mir keine echten Pausen mehr. Die Wochenenden waren nicht wirklich frei, weil es immer etwas zu tun gab. Urlaub bedeutete für mich, Reisen zu organisieren oder Guides zu schulen.
Ich dachte, das wäre normal. Ich dachte, das müsste so sein. Doch dann kam der Punkt, an dem mein Körper mir signalisierte: So geht es nicht weiter. Die Jahre der ständigen Belastung, der wachsenden Verantwortung, der Versuch, das Chaos zu ordnen, ohne meine eigenen Grenzen zu beachten — all das hatte seinen Preis. Und dieser Preis sollte sich schon bald zeigen.
Kapitel 5: Burnout — Die persönliche und unternehmerische Krise
Der unerwartete Zusammenbruch
2012 kam der Tiefpunkt. Ich erlitt ein Burnout.
Das Paradoxe daran? Es passierte nicht in einer Zeit des größten Chaos, sondern als das Unternehmen stabiler wurde. Die Strukturen waren besser, das Team arbeitete professioneller, Weltweitwandern lief gut. Und doch fühlte ich mich innerlich ausgebrannt.
Jahrelang hatte ich das Unternehmen mit voller Kraft aufgebaut. Ich war immer im Einsatz, immer mit Leidenschaft dabei. Doch genau diese unermüdliche Energie wurde nun zum Problem. Ich hatte nie wirklich innegehalten. Ich wollte das Unternehmen weiterentwickeln, gleichzeitig ein guter Vater sein, für meine Familie da sein, für meine Mitarbeitenden erreichbar sein. Ich trug Verantwortung für so vieles und fühlte mich oft, als müsste ich es allein stemmen.
Der Weg in die Überforderung
Die Überlastung kam schleichend. Der Alltag bestand aus ständigen Entscheidungen, Kundenanfragen, Meetings, Reisen, dem Jonglieren zwischen Teamführung und Finanzplanung. Gleichzeitig trug ich Verantwortung für unser Partnernetzwerk, die Guides weltweit, die Weiterentwicklung der Programme. Es war, als hätte ich einen Marathon gestartet, ohne je eine Trinkpause zu machen. Bis mein Körper die Notbremse zog.
Ich erinnere mich an den Moment, als es nicht mehr ging. Ich saß in meinem Büro und hatte das Gefühl, als hätte jemand die Luft aus mir rausgelassen. Mein Kopf war leer, mein Körper schwer. Selbst einfachste Dinge fielen mir schwer. Ich, der immer vor Ideen sprühte, konnte plötzlich nichts mehr abrufen.
Der Weg zurück
Nach meinem Zusammenbruch zog ich mich bewusst zurück. Ich nahm mir erstmals eine richtige Auszeit – keine Geschäftsreisen, keine Meetings. Ich ging für mehrere Wochen in ein tibetisches Kloster in Nepal und wanderte viel.
Ich erkannte drei entscheidende Dinge:
- Verantwortung wirklich abgeben: Ich musste lernen, mehr zu delegieren und meinem Team zu vertrauen.
- Achtsamkeit leben: Ich begann, buddhistische Prinzipien bewusster in meinen Alltag zu integrieren.
- Regelmäßige Reflexion: Ich strukturierte meine Tage neu, plante Pausen ein.
Diese Erfahrung veränderte nicht nur mich, sondern auch Weltweitwandern. Ein Unternehmen kann nur nachhaltig erfolgreich sein, wenn die Menschen darin gesund und ausgeglichen sind. Wir führten einen bewussteren Arbeitsstil ein, mit klarer Trennung von Arbeit und Freizeit. Das Burnout war ein schmerzhafter Einschnitt, aber eine wichtige Lektion. Ich begann, mich auf meine Rolle als Visionär zu konzentrieren und übergab das operative Geschäft Schritt für Schritt an mein Team. Diese Veränderung machte das Unternehmen stabiler und mich wieder kreativ. Ich spürte wieder, warum ich das alles begonnen hatte.
Kapitel 6: Familie, Bücher und soziales Engagement
Familie
Seit 2001 bin ich mit meiner Frau Carmen, die selbstständige Psychotherapeutin ist, sehr glücklich verheiratet.
2002 kam unsere Tochter Laura zur Welt. 2004 folgte unser Sohn Lino und 2010 komplettierte Leo unsere Familie.
Neben meinem zeitweise doch intensiven Arbeitsleben, ist mir unser Familienleben sehr wichtig: Wir waren und sind nach wie vor viel gemeinsam unterwegs, reisen unter anderem 2025 nach Marokko, gehen zusammen Wandern und Schifahren…
Unternehmenswachstum
In all den Jahren wuchs Weltweitwandern stetig — bis auf aktuell über dreißig Mitarbeitende in Graz und viele 100 Guides und Partner:innen weltweit, um unsere mehrere hundert Reisen pro Jahr in liebevoller Qualität durchzuführen . Ende 2019 erreichten wir mit knapp fünftausend Gästen pro Jahr einen vorläufigen Höhepunkt. Seit Ende 2024 sind wir nun wieder in einer starken Wachstumsphase.
Zeit für neue Projekte
Die bessere Organisation des Unternehmens schuf bei mir auch wieder Freiräume für neue Projekte. Ich bin nach wie vor sehr aktiv auf Reisen, um erstens unser Partnernetzwerk zu pflegen und zweitens einen guten Kontakt zu unseren Gästen zu halten.
2016 verfasste ich mein erstes Buch „Wandern wirkt: Den eigenen Weg gehen und Lebensträume verwirklichen“ und schaffte es damit bis auf Platz 3 der Sachbuch-Bestsellerliste in Österreich.
Mein zweites Buch „Das große Buch vom Wandern“ erreichte sogar Platz 1 und wurde 2020 mit dem renommierten ITB Book Award als „bestes Wanderbuch des Jahres“ ausgezeichnet. 2021 erschien im Baumüller-Verlag mein drittes Buch „Wanderwissen kompakt“. Das Schreiben ermöglichte mir, meine Erfahrungen und Erkenntnisse mit anderen zu teilen.
Soziales Engagement & spirituelle Dimension
Neben dem Verein „Friends of Lingshed„, den ich vor Weltweitwandern gegründet hatte, rief ich 2015, nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal, den Verein „Weltweitwandern Wirkt“ (www.weltweitwandernwirkt.org) ins Leben. Er initiiert und unterstützt Bildungs- und Sozialprojekte weltweit:
- Den Campus Vivantes im hohen Atlas Marokkos
- Die Kundalini-Schule und das „Bottlehouses-Kinderheim“ in Nepal
- Die Sherpa Schule in Nepal
- Eine Kinderheimstätte in Tansania
- Ein Umweltbildungsprojekt in Peru
- Ukrainehilfe und weitere Nothilfeprojekte
Während der Coronazeit gründeten wir den Verein „Buddhismus im Alltag„, der während der Pandemie besondere Bedeutung gewann. Damit bieten wir wertvolle Meditations- und Selbsterfahrungsseminare an. (Info: www.buddhismus-im-alltag.at)
Das Weltweitwandern-Büro wird mit diesen beiden Vereinen, die dort beide ihren Sitz haben, zu einem lebendigen Ort der Begegnung: An vielen Wochenenden finden hier Kochkurse und Veranstaltungen statt. Das alles folgt unserer Vision, Menschen zusammenzubringen, zu verbinden und zu bewegen.
Kapitel 7: Die Weltweitwandern-Academies – Qualität, Austausch und gelebte Werte
Seit der Gründung von Weltweitwandern war mir eines klar: Unsere Guides sind nicht nur Reiseleiter — sie sind das Herzstück jeder Reise. Sie öffnen Türen, vermitteln ihre Kultur und machen das Erlebnis für unsere Gäste lebendig.
Was 2006 als kleines Programm mit Treffen auf Alpenvereinshütten begann, hat sich zu einem weltweiten Ausbildungsnetzwerk entwickelt. Unsere Guides kommen nach Österreich, lernen Deutsch, nehmen an Praktika teil und erleben unsere Art zu reisen aus der Gästeperspektive.
Ab 2008 folgten professionelle Trainings mit Bergführern und Tourismus-Experten, mit Fokus auf Sicherheit, Kommunikation und nachhaltigen Tourismus.
Ein besonderer Meilenstein war 2015 das internationale Austauschprogramm: Marokkanische Guides reisten in den Himalaya, nepalesische Guides wanderten in Georgien. Diese Perspektivwechsel waren wertvoll. Ein Beispiel war Lahoucine aus Marokko, der nach Ladakh reiste und dort mit unserem Guide Tashi viel Zeit verbrachte. Beide erkannten: Trotz völlig verschiedener Kulturen begegnen sie ähnlichen Herausforderungen. Später reiste Tashi nach Marokko — und erlebte selbst, wie es ist, sich in einer fremden Kultur neu zu orientieren.
2016 verlegten wir unseren Workshop in die Wüste Marokkos. Statt im Seminarraum entwickelten wir während der Wanderung neue Konzepte für nachhaltiges Reisen.
2019 starteten wir mit einer Partner-Academy auf Madeira, mit Fokus auf nachhaltige Öko-Lodges als Zukunftsmodell. Dann kam Corona (das veranstalteten wir dann viele Online-Treffen), und erst 2023 konnten wir wieder „live“ durchstarten: Mit großen Weltweitwandern-Academies in Österreich, die wir 2024 und 2025 mit jeweils 25 bis 30 internationalen Guides und Partnern fortführten.
Heute sind die Weltweitwandern-Academies ein zentraler Bestandteil von Weltweitwandern. Sie machen unsere Guides zu Botschaftern eines nachhaltigen, respektvollen Tourismus. Denn sie sind nicht nur Reiseleiter — sie sind Gastgeber, Geschichtenerzähler und Brückenbauer zwischen Kulturen.
Kapitel 8: Die Corona-Krise und der Wiederaufbau
Anfang 2020 standen wir am Höhepunkt unserer Unternehmensgeschichte. Weltweitwandern hatte ein beeindruckendes Wachstum hingelegt, 2019 hatten wir 40 Prozent mehr Buchungen als im Vorjahr. Dann kam die Pandemie. Und mit ihr der völlige Stillstand. Es fühlte sich an wie ein ungebremster Aufprall aus voller Fahrt gegen eine Betonwand. Flüge wurden gestrichen, Ländergrenzen geschlossen, 1000e unserer Reisen mussten storniert werden. Wir mussten Dutzende Gäste evakuieren – vor allem aus Marokko, wo der Flughafen in Marrakesch über Nacht schloss.
Die existenzielle Frage war: Wie gehen wir mit den Anzahlungen um? In unserer Branche fließen diese direkt in Reisevorbereitungen. Hätten alle Gäste ihr Geld zurückgefordert, wären wir nicht überlebensfähig gewesen. Doch dann geschah etwas Erstaunliches: Rund 80 Prozent unserer Kunden entschieden sich für eine Gutscheinlösung. Dieser Zusammenhalt hat uns gerettet und gezeigt: Unsere Gäste sind nicht einfach Kunden — sie sind Teil einer Gemeinschaft. Danke!
Während der Krise blieben wir aktiv:
- Hielten engen Kontakt mit unseren Guides und Partnern weltweit
- Organisierten Spenden- und Unterstützungsaktionen für Nepal, Marokko, Ladakh, Jordanien, Tansania, uvam.
- Nutzten die Zeit für interne Weiterentwicklung
2022 begann der langsame Neustart, aber erst 2023 standen wir wieder wirklich stabil da — mit einem gewachsenen Team, einem gestärkten Partnernetzwerk und einer noch klareren Vision für nachhaltigen Tourismus.
Kapitel 9: Die Zukunft von Weltweitwandern
Nach der Corona-Krise fokussieren wir uns auf bewusstes, nachhaltiges Wachstum mit klaren Werten:
Freiheit &Eigenständigkeit, Offenheit & Neugier, Mit Herz & Engagement, Gemeinsam unterwegs, Verantwortungsvoll handeln
- Ausbau unserer nachhaltigen Angebote: Wir setzen verstärkt auf umweltfreundliche Unterkünfte, sanften Tourismus und verantwortungsvolles Reisen.
- Stärkung unserer Partnerschaften: Unsere Guides & Partner sind das Herzstück von Weltweitwandern — und wir wollen sie noch besser unterstützen, sei es durch Fortbildungen oder faire Arbeitsbedingungen.
- Digitalisierung mit Bedacht: Wir entwickeln neue Online-Buchungsoptionen, digitale Gästeinformationen — aber ohne das persönliche Erlebnis zu verlieren.
- Mit „Weltweitwandern Wirkt!“ möchten wir weiterhin Initiativen in unseren Reiseländern unterstützen, die Bildung und nachhaltige Entwicklung fördern.
- Start des neuen „Weltweitwandern — Podcasts“ Dieser Podcast ist für alle, die sich für das Reisen und Wandern weltweit begeistern — egal ob auf griechischen Inseln, durch die Wüsten Marokkos oder über die Pässe des Himalayas. Wir entdecken faszinierende Wanderregionen und Kulturen und sprechen mit Menschen, die vor Ort leben und ihre Lieblingsplätze mit uns teilen.
Meine persönliche Ziele — Raum für Kreativität und Inspiration
- Ich sehe mich immer stärker in der Rolle des „Ermöglichers“ und „Markenbotschafter“ — als jemand, der Räume schafft, wo Ideen wachsen können, der sein Wissen & seine Erfahrung weitergibt und damit hoffentlich Menschen inspiriert.
- Ich möchte zudem noch mehr Zeit verbringen auf Reisen, für Kreativität, für inspirierende Projekte
Ein persönliches Schlusswort
Rückblickend haben mich drei Erkenntnisse besonders geprägt:
- Erfolg braucht Ausdauer. Es ist ein Marathon, kein Sprint.
- Nicht alles muss perfekt sein. Oft entstehen aus dem Unerwarteten die besten Ideen.
- Mut zum Neuen ist unerlässlich. Die wertvollsten Schritte erfordern manchmal einen Sprung ins Ungewisse.
Diese Geschichte ist nicht nur meine — sie gehört allen, die Teil von Weltweitwandern sind: unserem Team, unseren Guides, unseren Partnern und unseren Gästen. Ihnen allen gilt mein Dank!
Meine Botschaft an alle, die diese, meine Geschichte lesen:
„Folge deiner Vision – Schritt für Schritt.“ Nicht immer wissen wir genau, wohin uns unser Weg führt.
Aber wenn wir dranbleiben, mutig sind und unsere Werte leben, entstehen Dinge, die wir uns nie hätten träumen lassen.
Alles Gute!
Christian Hlade
der „Chef-Weltweitwanderer“ ;-)