Georgien boomt gerade wie irre, von einem Geheimtipp, wie es das bis vor kurzem noch war, kann man jetzt wirklich nicht mehr sprechen. Bei uns haben sich die Georgien-Reisenden zuletzt Jahr für Jahr verdoppelt. Es ist bereits unsere drittwichtigste Destination, nach Madeira und Marokko. Und trotzdem bergen Gebirgsregionen wie Swanetien, Tuschetien und Chewsuretien immer noch ein kaum entdecktes Wander- und Trekkingparadies.

Als Tourismusland hatte Georgien genauso wie Albanien, Montenegro oder Bosnien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Imageprobleme, doch langsam beginnt sich herumzusprechen, dass das gewaltig schöne Länder sind. Es gibt ja diese Legende: Die Georgier, heißt es, kamen zu spät, als Gott die Erde unter den Völkern aufteilte. Sie hatten gefeiert. Als sie nun wieder anfingen Musik zu machen und zu tanzen, schenkte Gott ihnen, was er eigentlich selbst behalten wollte: seinen Garten!

In diesem „Garten“ stehen sehr hohe Berge, sogar Fünftausender mit weißen Gipfeln. Dazu kommen tiefe Schluchten, sanfte Bergwiesen, tosende Bäche und uralte Klöster. Da hier die Seidenstraße verlief, spielte Kultur schon vor vielen Jahrhunderten eine große Rolle, und das sieht man heute noch.

Ich erinnere mich, wie wir in Richtung Uschguli unterwegs waren, einem UNESCO-Weltkulturerbe-Ort. In Swanetien, im Nordwesten des Landes, sind wir auf eine Kuppe gestiegen. Oben wartete ein 360-Grad-Panoramablick, uns gegenüber glänzten die Gletscher des Schchara, Georgiens höchstem Berg, im Sonnenlicht. Nicht weit entfernt, versteckt in einem Hochtal, liegt Uschguli. Bergriesen, üppig grüne Weideflächen, alte steinerne Wehrtürme und dörfliche Traditionen verdichten sich hier zu einem Gesamtkunstwerk. In diesem Gebiet lässt es sich wunderbar tagelang wandern – bei einer Gebirgskulisse, die Nepal ähnlich ist. Oft kam es uns vor, als ob Swanetien ganz uns gehören würde, weil nur selten andere Wanderer unsere Wege kreuzten. Stille und Natur sind hier die Wegbegleiter.

Im Dorf Mestia haben wir in einem traditionellen alten Dorfhaus übernachtet – inklusive Wehrturm. Liana, die Frau des Hauses, hat uns, hungrig, wie wir nach fünftägiger Wanderung waren, verwöhnt: mit Chatschapuri, das ist Fladenbrot mit Käse, mit Walnüssen gefüllten Auberginen, gegrilltem Huhn mit Granatapfelsauce und Chinkali, gefüllten Teigtaschen. Dazu gab es noch Walnusssoße, genannt Baji, Mirabellensoße und als Nachspeise Tschurtschchela: Walnüsse mit Traubensaft-Kuvertüre.

Unser Guide „Soso“ hat uns während der ganzen Reise rührend umsorgt. Seither weiß ich, was es mit der sprichwörtlichen Herzlichkeit der Georgier auf sich hat. Herzhafte Trinksprüche und Lobpreisungen begleiten jedes Festessen und machen deinen Abend mit Georgiern zum Erlebnis.

Der Wein ist wahnsinnig gut, am besten schmeckt mir die Rotweinsorte Saveravi. Es gibt mehr als 500 autochthone georgische Rebsorten, 38 davon sind offiziell für den kommerziellen Weinbau zugelassen. Sehr interessant ist auch der traditionelle Weinausbau in Amphoren, Quevri genannt, der es in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit geschafft hat.

Besonders wild und einfach ist es im Nordosten von Georgien, in den Regionen Tuschetien und Chewurien. Man kann dort wochenlang wandern, muss aber Zelte und Verpflegung mitführen. Solche Flecken sucht man im restlichen Europa vergeblich. Man reist hier in eine Zeit jenseits der Globalisierung.

Im Dorf Schatili zum Beispiel wohnen heute nur mehr ein paar Dutzend Familien und das nur in den Sommermonaten. Das Dorf ist eine einzige Festung: 60 Wehrtürme haben das Land nach Nordosten hin gesichert. Am Ende gelangt man zur Gergeti-Kirche, die im Abendlicht wunderschön auf einer Kuppe vor dem mächtigen Kasbek-Massiv strahlt. Hier verdichtet sich noch einmal, was Georgien für mich ausmacht: Mächtige Berge, eine uralte christliche Kultur, große Lebenskraft und Gastfreundschaft der Menschen zwischen Orient und Okzident.

Stundenlang herumgestreift bin ich in der Hauptstadt Tiflis. Zerfall und Hoffnung, alte Traditionen und modernes Leben sind hier vereint. „Paris des Ostens“ wird sie zu Recht genannt, erinnert sie doch an manchen Stellen an eine altmodisch-angegraute Version der Stadt der Liebe sowie an Filmkulissen von Federico Fellini. Zur osmanischen und eklektischen Architektur gesellen sich avantgardistische Baudenkmäler von Toparchitekten des Westens wie Michele de Lucchi oder Jürgen Mayer H. Hypermoderne Bauwunder, verspielte Holzveranden, prachtvoller Jugendstil, arabische Bäder und morbider Charme – all das charakterisiert Tiflis. Alle interessanten Baudenkmäler der Altstadt liegen nah beieinander und lassen sich leicht zu Fuß erkunden. Man taucht in enge Gassen belebter Wohnviertel ein, spaziert vorbei an arabischen Schwefelbädern, macht Halt an der Synagoge und der Sioni-Kathedrale. Zur Erinnerung an die frühe Christianisierung wird hier das Weinrebenkreuz der heiligen Nino aufbewahrt. Georgien gehört damit zu den ältesten christlichen Nationen der Welt.

 Beste Reisezeit: Wenn man Wanderungen ins Hochgebirge unternehmen möchte, muss man im Sommer = Juni, Juli, August nach Georgien kommen.

Beste Wanderung: Eine fünftägige Durchquerung von Swanetien von Bergdorf zu Bergdorf, die wir seither auch bei Weltweitwandern im Programm haben

Besonderheiten? Wenig andere Wanderer, Übernachtungen bei Familien in uralten Dörfern, die wirklich traumhaften Bergpanoramen und das UNESCO-Welterbedorf Usguli mit den archaischen Wehrtürmen am Ende.

Literatur: Die Georgien – Reiseführer vom Verlag „Reise Know How“ und „Trescher“ finde ich beide gut. Gestohlene Geschichten von Wendell Steavenson

Aufpassen:Sich bei dem wunderbaren Essen in Georgien nicht zu überessen… ,-)

Geheimtipp: Lange, ziellose Spaziergänge durch Georgiens Hauptstadt Tiflis, vor allem auch abseits der Hauptgeschäftsstraßen!

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