Mitten im Wald, weit weg von bewohnten Dörfern, treffe ich auf Mario. Er haust in einer alten, einsam gelegenen Kirche aus dem 15. Jahrhundert und bietet mir gastfreundlich Kaffee an. Beim Kaffeetrinken erzählt er mir, dass er aus Rom stammt, dort Programmierer war – und vor über zwei Jahren selbst diesen Pilgerweg gegangen und dann hier hängen geblieben ist. Seither wohnt er hier mitten im Wald, im Vertrauen auf Gott – ganz nach dem Vorbild von Franz von Assisi.
Auch mich hat eine Krise auf diesen Weg geführt: Sieben qualvolle Monate mit einem Bandscheibenvorfall, die mich nicht einmal schmerzfrei sitzen ließen. Nach unzähligen erfolglosen Therapien und Medikamenten habe ich erkannt, dass Gehen das Einzige ist, was wirklich hilft. Seit Jahrzehnten organisiere ich Wanderreisen für andere Menschen, doch plötzlich wurde das Gehen zu meiner eigenen Medizin. Spannend, oder? Doch meine Motivation für diese Pilgerreise war nicht nur die körperliche Heilung. Mein 60. Geburtstag lag gerade hinter mir, und so kam das Bedürfnis, innezuhalten, nachzudenken und neue Perspektiven zu finden – mit Inspirationen durch Franz von Assisi und Buddha.
Im Oktober & November war ich 550 km in 23 Tagen zu Fuß unterwegs am Franziskusweg von Florenz nach Rom. Das hier ist der 3. und letzte Teil meines Reiseberichtes: Von Assisi nach Rom
Aufbruch aus Assisi
Heute ist ein Tag mit strahlend blauem Himmel. Während ich durch das quirlige Assisi spaziere, das an diesem Samstag voller Menschen ist, denke ich über die Bedeutung von Stille und Rückzug nach. Franziskus suchte beides – die Gemeinschaft mit Menschen und die tiefe Einsamkeit. Nach dem Abschied von der großen Franziskus-Basilika wandere ich hinauf zur Einsiedelei des Heiligen Franziskus, dem „Eremo delle Carceri“, die in den Wäldern des Monte Subasio liegt.
Dieser Ort war nicht nur ein physischer Rückzugsort für Franziskus und seine Anhänger – er symbolisiert auch die spirituelle Dimension des Rückzugs, die Notwendigkeit, immer wieder Stille zu suchen, um den eigenen Weg klarer zu sehen. In unserer heutigen, von permanenter Kommunikation geprägten Welt wird diese Sehnsucht nach Stille besonders spürbar.
Die äußere Welt als Spiegel der inneren Transformation
„Die äußere Welt ist nur ein Spiegel deiner inneren Welt.“
Dieses Lieblingszitat meines buddhistischen Lehrers Stephan Pende Wormland begleitet auf diesem Teil meines Pilgerweges besonders intensiv:
Dieser Gedanke verbindet sich für mich mit der franziskanischen Spiritualität. Auch Franziskus erkannte in der äußeren Welt stets ein Abbild der göttlichen Ordnung – in jedem Geschöpf, in jedem noch so kleinen Detail der Schöpfung.
Die buddhistische Lehre von der Leerheit ergänzt diese Perspektive auf faszinierende Weise: Leerheit heißt nicht, dass die Welt ein „Nichts“ ist, sondern dass die Dinge um uns herum kein festes, unabhängiges Selbst haben. Die äußere Welt existiert nicht so, wie wir sie wahrnehmen. Sie ist eine Konstruktion unseres Geistes, wird durch unsere Wahrnehmungen, Bewertungen und Gedanken erzeugt. Wenn wir etwas sehen – zum Beispiel einen Stuhl – dann „benennen“ wir ihn sofort: „Das ist ein Stuhl.“ In Sekundenschnelle fügen wir unsere Bewertungen hinzu, die uns oft nicht einmal bewusst sind: „schöner Stuhl“, „hässlicher Stuhl“, „mein Stuhl“. Diese Etiketten überdecken die eigentliche Natur des Stuhls. Unser Geist bewertet dann alles automatisch und pausenlos: gut, schlecht, neutral. Das Ergebnis ist eine Welt, die nicht mehr aus unserer unmittelbaren, frischen Erfahrung der Dinge selbst besteht, sondern aus unseren Projektionen.
Franziskus lebte eine radikale Form dieser Einsicht: Er verzichtete auf Besitz und Status, um die Welt wieder unmittelbar, ohne die Schleier von Macht und Reichtum wahrzunehmen. Seine berühmte Begegnung mit dem Aussätzigen – in der er das Abstoßende plötzlich als schön erkannte – zeigt diese transformative Kraft der veränderten Wahrnehmung.
Durch die Ebene nach Spoleto
Die nächste Etappe beginnt mit den „Mühen der Ebene“ – Straßenhatscher, Wohngebiete und Industrie. Auch diese Tage gehören dazu. Ab dem späteren Vormittag wird’s dann wieder schön, mit Wanderungen durch Olivenhaine und Blicken auf die Bergstadt Trevi. Sophie, eine junge Frau aus Wien, teilt heute für einige Zeit meinen Weg. Sie ist hier als Frau alleine unterwegs. Ein interessantes Gespräch entsteht und dann verabschieden wir uns wieder, sie übernachtet in Trevi. Das Leben ist Veränderung.
Tägliche Meditation und Dankbarkeit
Ich nehme mir hier auf der Pilgerreise jeden Tag nach dem Aufwachen Zeit zum Meditieren und zur bewussten Vorbereitung auf den Tag. Ich praktiziere dabei ganz bewusst Dankbarkeit. Zuerst einmal einfach dafür, dass ich überhaupt lebe und dass es mir gut geht. Dankbar dafür, hier zu sein und diesen Weg zu gehen. Ich denke in Dankbarkeit an all die Menschen, die mich unterstützen und begleiten. Diese Dankbarkeit ist nicht nur ein frommes Gefühl, sondern eine transformative Kraft, die den Geist weitet und das Herz öffnet.
Dankbarkeit ist für mich wie ein Anker, der mich weitet, mich im Hier und Jetzt verankert und mir bewusst macht, wie viel mir im Leben bereits geschenkt wurde. Inspiration dazu kommt auch von Franz von Assisi. Auch er ist der Schöpfung mit großer Demut und Dankbarkeit begegnet. Franziskus drückte diese Haltung in seinem Sonnengesang aus, wo er selbst den Tod als „Bruder“ willkommen heißt. Diese radikale Akzeptanz allen Seins, diese tiefe Dankbarkeit auch für das Schwere und Schmerzhafte, ist für mich eine tägliche Übung. Meine eigene Erfahrung mit dem Bandscheibenvorfall hat mich gelehrt, wie heilsam diese Haltung sein kann. Statt gegen den Schmerz anzukämpfen, lerne ich, ihn als Lehrer zu akzeptieren.
Im Tal der Burgstädte
Der Weg führt nun durch ein sehr einsames, fast unbewohntes Gebiet. Ich gehe unten im Tal entlang des Flusses Nera, während hoch über mir mittelalterliche Orte thronen: Montefranco, Ferentillo, Arrone, Collestate, Casteldilago. Orte, die einst bedeutend waren, sind heute fast verlassen. Die herbstliche Vegetation und das Plätschern des Flusses begleiten mich.
Im „Museo delle Mummie“ in Ferentillo wird diese Vergänglichkeit besonders greifbar. Ich blicke ich in die Gesichter von Menschen, die vor Jahrhunderten gestorben sind. Gesichtszüge, Zähne und sogar Haare sind noch erstaunlich gut erhalten. Diese Mumien erinnern an die buddhistische Kontemplation über den Tod – nicht als morbide Übung, sondern als Weg zu tieferem Lebensbewusstsein. Jedes dieser Gesichter erzählt von einem Leben, das einmal wichtig war, von Hoffnungen, Ängsten und Träumen, die nun vergangen sind. Sie erinnern mich an die Vergänglichkeit auch meines eigenen Lebens.
Der Winter kündigt sich an: In der Früh sind meine Hände eisig kalt, und zum ersten Mal auf meiner Reise sehe ich beim Ausatmen meinen weißen Atem in der kühlen Morgenluft. Von meinem Zimmerfenster im Ort Poggio Bustone aus schaue ich schon in der Früh auf das Nebelmeer tief unten in der Ebene. Der Weg führt durch zauberhaften bunten Herbstwald. Leuchtende Tage!
Gegen Mittag komme ich zum Kloster Foresta, wo Franziskus in einer Höhle einen Winter verbracht hat. Heute lebt hier eine kleine Hausgemeinschaft, einer der Klosterbewohner führt mich ein bisschen herum. Ein verwunschener, stiller Ort am Waldrand, hoch über dem Tal. Ein Idyll.
Dann ist es gleich vorbei mit der Stille. Am Nachmittag muss ich lange auf einer Straße gehen. Der Verkehr wird immer dichter, während ich nach Rieti hinuntersteige.
Eine überraschende Stadt: Rieti
Ein Bekannter hatte mich gewarnt: „Rieti ist total hässlich, dort brauchst du nicht lange zu bleiben.“ Doch die Stadt überrascht mich total, begeistert mich regelrecht. Dass ich Architektur studiert habe – wovon ich jahrelang dachte, es war umsonst – hilft mir heute, diese Stadt zu lesen: Eine untergegangene, verwunschene Welt, voller Geschichte und Gegensätze.
Rieti war mal eine extrem bedeutende, sehr reiche Stadt. Sie liegt am glasklaren Fluss Velino, mit modernen Fußgängerbrücken. Überall Kontraste: Verfallene Häuser neben supertoll renovierten Palästen, arabische Läden neben alten Kirchen, moderne Architektur zwischen historischen Bauten. Die Sabiner waren hier, die Römer, Langobarden, die Päpste. Auch Franz von Assisi kam hierher, um seine Augenkrankheit behandeln zu lassen – eine biographische Parallele zu meiner eigenen Heilungssuche auf diesem Weg.
Begegnung der Kulturen
Im Café höre ich Arabisch am Nebentisch. Die Männer stammen aus dem Irak und Ägypten, erzählen von ihrer Zeit in Österreich, von negativen Bescheiden, vom Rassismus. Jetzt versuchen sie es in Italien. Sie freuen sich über meine wenigen arabischen Brocken. Ihre Geschichten von Flucht, Ablehnung und der Suche nach Würde erinnern an die franziskanische Botschaft der universellen Geschwisterlichkeit. Franziskus selbst reiste zum Sultan nach Ägypten, suchte – es war ja die Zeit der Kreuzzüge – den Dialog statt der Konfrontation – eine Haltung, die heute aktueller ist denn je.
Der morbide Charme der alten Glanzzeiten von Rieti erinnert mich an andere historische Städte wie Havanna oder Tiflis – ich liebe diese noch nicht total renovierten Welten. Nach drei Wochen in der Stille der umbrischen Wälder und Klöster zeigt sich hier die globalisierte Realität in all ihrer Komplexität. Am Freitagabend pulsiert hier das typische Leben einer italienischen Kleinstadt. Ein buntes Gemisch von Einheimischen und Menschen aus aller Welt. Ich mag diese Bruchlinien, das Raue. Man braucht manchmal eine bestimmte Brille von Achtsamkeit und Staunen – auch meine Architektur-Ausbildung hilft, die Schätze hier zu erkennen und einzuordnen.
Franz von Assisi als Wegweiser für heute
Franziskus war mehr als nur ein Heiliger – er war ein radikaler Erneuerer, der uns auch heute noch inspirieren kann. Als früher „Öko-Aktivist“ und Verfechter eines einfachen Lebens nahm er vieles vorweg, was heute wieder höchste Aktualität besitzt. Seine klare Ablehnung von Macht und Reichtum, seine Hinwendung zu den Ausgestoßenen, seine Liebe zur Natur – all das sind Wegweiser für eine Welt, die nach neuer Orientierung sucht.
Sein Beispiel ermutigt uns, die eigenen Wahrnehmungsmuster zu hinterfragen, uns von überkommenen Bewertungen zu lösen und die Welt mit neuen Augen zu sehen. In einer Zeit der globalen Krisen kann seine radikale Botschaft der Geschwisterlichkeit mit allen Geschöpfen neue Perspektiven eröffnen. Der Weg, den ich hier gehe, ist so nicht nur eine äußere Reise, sondern vor allem ein innerer Transformationsprozess – eine Einladung, die Welt und mich selbst neu zu entdecken.
„Betrachte das Leben, wie es wirklich ist. Es kommt und geht, wie Wolken im Himmel, ohne festen Halt und ohne Ende.“
Mein buddhistischer Lehrer Stephan Pende Wormland
Die letzte großen Etappen
Nach weiteren ausgedehnten Wandertagen erreiche ich am 20. Wandertag schon gegen 15:00 Uhr den Bergort Poggio San Lorenzo. Dieser abgelegene, aber überraschend lebendige Ort mit seinen 800 Einwohnern empfängt mich mit echter italienischer Gastfreundschaft. Zuerst stärke ich mich mit einem köstlichen Mahl in einem Agritourismo am Dorfrand und beziehe dann für nur 15€ eine ganze Pilgerwohnung direkt am Hauptplatz. Das Dorfleben ist beeindruckend: Männer spielen Karten, Kinder radeln herum und schauen auf ihre Handys, Frauen unterhalten sich.
35 Kilometer liegen dann am vorletzten Tag vor mir bis Montelibretti. Stark anfangen und stark aufhören scheint mein Motto für diesen Weg zu sein. Der Weg begann ja auch vor 21 Tagen mit einer knackigen 34-Kilometer-Etappe, und heute, kurz vor dem Ende, steht mir erneut eine lange Strecke bevor.
Der letzte Tag – Kontraste auf dem Weg nach Rom
Es ist erstaunlich – Rom liegt schon zum Greifen nah, und dennoch befinde ich mich hier heute früh in einer überraschend einsamen, dünn besiedelten Landschaft. Bei strahlendem Sonnenschein führt mich mein Weg über schöne Wald- und Wiesenpfade. Die Hügel werden sanfter, während die höheren Berge allmählich in meinem Rücken zurückbleiben.
Der spätere Vormittag zeigt die Realität der Großstadtränder: Wilde Müllhalden und vereinzelte Kondome säumen den Wegesrand – dazwischen überraschenderweise Wühlspuren von Wildschweinen. Dann auch tatsächlich ein parkendes Auto inklusive küssendem Liebespaar. Der Kontrast einer Übergangszone. Nach etwa 16 km erreiche ich Monterotondo. Die folgende urbane „Zwischenzone“ überbrücke ich dann mit einer halbstündigen Busfahrt – die wenig reizvolle „Landschaft“ der Vorstädte inkl. Straßenhatscher erspare ich mir.
Das grüne Rom
Die nächsten 15 km durch Rom überraschen mich völlig – so viel Grün hätte ich nicht erwartet! Die Route schlängelt sich entlang eines kleinen Flusses, dann durch weitläufige Parks, umgeben von grünen Hügeln bis ich zum Tiber gelange, dem ich dann länger folge. Das Leben am Wasser ist erstaunlich lebendig: Ruderer gleiten über das Wasser, Bootsclubs und Hausboote schaffen eine ruhige, idyllische Atmosphäre. Unterwegs gönne ich mir dann ein verdientes Bier und bestaune dann auch eine imposante Moschee. Der Tiber begleitet mich weiter bis zur Engelsburg. Als ich dann – schon in der Abenddämmerung – den Petersplatz erreiche und den gewaltigen Petersdom betrete, verschlägt es mir den Atem – ein wenig vor Erschöpfung, aber hauptsächlich ob der gigantischen Dimensionen.
Angekommen
Hier unter der gewaltigen Kuppel von Michelangelo und vor seiner „Pieta“ endet nun mit „großem Pomp“ meine Pilgereise. Müde, erschöpft, stolz, demütig und überglücklich stehe ich da. In meinem Kopf vermischen sich alle möglichen Gefühle. Über drei Wochen Wanderung und gute 550km liegen hinter mir. Kann es kaum fassen, dass es nun vorbei ist. Nach der Fahrt in der überfüllten U-Bahn schleppe ich mich dann (ich übertreibe nicht..) noch zu meinem Hotel.
Am folgenden Tag spziere ich dann noch ein bisschen gemütlich durch die heilige Stadt, bevor es dann am Abend bequem mit dem OEBB-Nachtzug wieder zurück nach Graz geht.
Die drei Dimensionen des Gehens
Während dieser Reise wurde mir wieder bewusst, welche Kraft das Gehen besitzt. Für mich hat das Gehen drei wichtige Dimensionen:
- Gehen ist die beste Medizin für den Körper. Ein befreundeter Arzt sagte einst: „Gehen ist die beste Medizin, Sitzen das neue Rauchen.“ Tatsächlich ist Gehen unglaublich gesund. Gerade gestern las ich, dass eine Minute Gehen angeblich fünf Minuten mehr Lebenszeit bringt. Unser Körper ist für die Bewegung gemacht, und auf diesem Weg habe ich einmal mehr erlebt, wie gut es tut, dem Körper das zu geben, wofür er geschaffen wurde.
- Gehen ist die schönste Art des Reisens. Zu Fuß nimmt man die Landschaft viel intensiver wahr. Jeder Schritt bringt einen tiefer hinein – in die Natur, die wechselnden Klimazonen und sogar die Jahreszeiten. Vom frischen Grün der Apennin-Wälder bis zu den sanften Hügeln des Sabina-Lands: Zu Fuß bleibt alles länger im Gedächtnis, weil man es mit allen Sinnen erlebt.
- Gehen ist Nahrung für den Geist. Ob Jesus, Franz von Assisi oder Buddha – alle waren Wanderer. Sie gingen und ließen im Gehen ihre Gedanken reifen. Der Weg wandelt den Geist, schafft Klarheit und Tiefe. Die Natur, die Bewegung, das Einlassen auf den Moment – all das wirkt, ohne dass man viel darüber nachdenken muss.
Was bleibt? Wozu war das alles gut?
Rückblickend kann ich sagen, dass dieses Projekt der „selbstverordneten Wandermedizin“ voll aufgegangen ist. Ich fühle mich erneuert, körperlich und geistig gestärkt. Der Geist des Gehens, die Kraft dieser Reise, wird in mir weiterwirken. Es war mehr als nur eine Pilgerreise – es war eine Begegnung mit mir selbst.
Die wichtigsten Erkenntnisse vom Weg:
- Der Körper weiß den Weg
Meine sieben Monate mit dem Bandscheibenvorfall waren wie ein dringender Weckruf. Keine der vielen Therapien half – bis ich endlich verstand: Mein Körper forderte keine schnelle Lösung, sondern eine grundlegende Veränderung. Das Wandern wurde zur Medizin, aber nicht als „Quick Fix“, sondern als langsamer Prozess der Heilung. - Die Kraft der Einfachheit
Franz von Assisi lehrte die radikale Einfachheit, Buddha die Loslösung von materiellen Bindungen. Auf dem Weg erlebte ich, wie befreiend diese Reduktion sein kann: Ein Rucksack, ein bisschen Geld, ein Paar Schuhe, ein Ziel. - Die Lehre der Langsamkeit
Unser hektischer Alltag verführt uns zu der Illusion, alles müsse schnell gehen, jedes Problem sofort gelöst werden. Der Franziskusweg lehrte mich die Kraft der Langsamkeit: Heilung braucht Zeit, Veränderung geschieht Schritt für Schritt. - Italien der zwei Geschwindigkeiten
Das Land zeigte sich mir in faszinierenden Kontrasten: Vom hektischen Touristentrubel in Assisi bis zu verschlafenen Bergdörfern, von mittelalterlichen Pilgerwegen bis zu modernen Vorstädten. - Der Weg geht weiter
Mit der Ankunft in Rom endet zwar meine Pilgerreise, aber der innere Weg geht weiter. Die Erfahrungen dieser drei Wochen werden nachwirken.
Gebrauchsanweisung für den Franziskusweg
Vorbereitung & Literatur
Für den Franziskusweg gibt es mehrere Routen, die sich teilweise unterscheiden. Besonders gut zur Vorbereitung eignet sich der gelbe Outdoor-Wanderführer „Italien: Franziskusweg“ vom Konrad Stein Verlag. Er beschreibt die Etappen ausführlich und listet viele Unterkünfte auf, was flexible Tagesetappen von 15-30 km ermöglicht. Damit ist der Weg auch für Einsteiger:innen gut machbar.
Mein Tipp: Wenn du die Vororte von Florenz vermeiden möchtest, starte in Pontassieve – eine Station mit dem Vorortzug ab Florenz.
Ausrüstung – Das Wichtigste zuerst
Jedes zusätzliche Gramm macht sich nach einer Weile bemerkbar. Mein vollgepackter Rucksack hat etwa 8 kg. Du kannst unterwegs immer wieder Wäsche waschen.
Meine komplette Ausrüstungsliste:
- 1 leichter Wanderrucksack (30-40 Liter)
- 3 T-Shirts (am besten Merino – stinkt auch nach vielen Tagen nicht)
- 3 Unterhosen
- 3 Wandersocken
- 1 dünnes Langarm-Leibchen (Merino)
- 1 abzippbare Wanderhose
- 1 Leggings (für abends/bei Kälte)
- 1 dünnes, langärmliges Hemd (Sonnenschutz)
- 1 Fleecejacke
- 1 Goretexjacke
- 1 leichter Seidenschlafsack
- 1 Regenponcho
- 1 Kappe/Hut (Sonnenschutz!)
- 1 Buff
- 1 Paar leichte Wanderstöcke (empfehlenswert: Black Diamond Distance Carbon)
- 2 Wasserflaschen (je 1 Liter)
- 1 kleiner Regenschirm
- Minimale Toilettenartikel
- Handy, Ladekabel, Powerbank
- Sonnenbrille und normale Brille mit Schutzbox
- Oropax
- Magnesiumtabletten
- 2-3 Müsliriegel/Nüsse
- Wasserdichte Packsäcke für Kleidung
- Kleine Packsäcke für Kleinkram
- Ausweise, Kreditkarten, Krankenversicherung
- Taschentücher/Klopapier
- Notitzbuch und Stift
- Leukoplast und Blasenpflaster
- Wäscheleine
- Kleines Erste-Hilfe-Set
- Leichte Schuhe für abends
- Regenüberzug für den RucksackWanderschuhe – Dein wichtigstes Werkzeug
Ich empfehle leichte, knöchelhohe Schuhe mit guter Dämpfung. Knöchelhoch ist wichtig, weil man oft durch knöcheltiefen Schlamm geht. Im Herbst unbedingt mit Goretex-Membrane. Ich trug am Pilgerweg La Sportiva, aber auch Lowa, Scarpa oder Hanwag sind gut.
Mein Tipp: Kaufe die Schuhe nachmittags mit geschwollenen Füßen. Mindestens eine Daumenbreite Platz vor den Zehen. Leukoplast ist ein Muss – ich klebe es präventiv auf Reibestellen.
Navigation
Die Markierung ist gut, aber nicht immer eindeutig. Eine GPS-App ist unverzichtbar. Ich habe die GPS-Tracks aus dem Wanderführer in die Komoot-App geladen. Alternativ gehen auch OutdoorActive oder AlpenvereinAktiv.
Unterkünfte
Im Herbst/Frühjahr ist es meist einfach, spontan eine Unterkunft zu finden. Ich reserviere oft am Vorabend oder morgens direkt per Telefon. Preise für Einzelzimmer mit Frühstück: 40-70 Euro, in Klöstern günstiger. Direktbuchung ist etwa 20% günstiger als über Booking.com.
Kosten
Rechne mit etwa 100 Euro pro Tag für Unterkunft, Essen und sonstige Ausgaben. Man kann es günstiger schaffen, aber die regionalen Spezialitäten sollte man sich gönnen.
Anreise
Der Nightjet der ÖBB von Graz nach Florenz ist sehr bequem. Mit Sparschiene ab 60 Euro im Liegewagen. Frühzeitig buchen!
Beste Reisezeit
Frühling (April-Juni)
Herbst (September-Oktober)
Im Sommer wird’s zu heiß, im Winter sind viele Unterkünfte geschlossen.
Wasser und Verpflegung
Im Herbst reicht oft ein Liter Wasser, da es unterwegs Nachfüllmöglichkeiten gibt. In wärmeren Monaten zwei Liter mitnehmen. Proviant für unterwegs nach Bedarf – es gibt meist Bars/Restaurants in den Dörfern.
Für Alleinreisende
Der Weg gilt als sehr sicher, auch für alleinreisende Frauen. Die Gastfreundschaft ist groß, die Menschen hilfsbereit. Aber wie überall: auf gesunden Menschenverstand und Bauchgefühl hören.
Besondere Highlights:
- La Verna: Bedeutendes Franziskaner-Heiligtum
- Gubbio: Mittelalterliche Stadt mit Piazza Grande
- Assisi: Zentrum des Franziskanischen Ordens
- Spoleto: Historische Stadt mit römischem Aquädukt
- Rieti: Authentische italienische Provinzstadt
Der wichtigste Tipp zum Schluss: Weniger ist mehr. Je leichter der Rucksack, desto mehr Freude am Gehen. Und: Plane genug Zeit ein – nicht nur fürs Gehen, sondern auch für Begegnungen, Besichtigungen und unerwartete Entdeckungen.
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“
Hermann Hesse