Eine (selbst)kritische Betrachtung.
…der schmale Grat zwischen „authentischem Erleben“, Massentourismus-Kitsch und andererseits eher ödem, banalem Alltagsleben ist auch für mich „Tourismusprofi“ oft trickreich und herausfordernd!
Dieser Blogeintrag soll ev. nachdenklich stimmen, aber bitte NICHT destruktiv „rüberkommen“: Unsere Welt IST WUNDERSCHÖN!
(Aber unsere Erwartungen sind komplex und manchmal schwierig zu erfüllen…)
Ich bin ja selbst oft als „Produktentwickler“ und „Reisetester“ für meine eigene Firma Weltweitwandern in der ganzen Welt unterwegs. Dabei halte ich natürlich ständig Ausschau nach „authentischen Dingen“, nach liebevoll geführten Unterkünften & Restaurants, nach besonderen Menschen und Möglichkeiten zu persönlichen Begegnungen mit der Kultur eines Landes.
Ich habe da so eine Art „inneres Radar“ entwickelt, das mich vor „Massentourismus“ warnt und unbewusst immer auf der Suche nach „Besonderheiten“ ist.
Auf meiner Reise durch Sri Lanka zum Jahreswechsel 2014/15 wurde mir aber sehr bewusst, auf welch schmalen Grat sich unsere Weltweitwandern-Reisen bewegen und wie fragil unserer Wunsch-Rahmenbedingungen heutzutage auf der Welt sind!
Eine unleugbare Tatsache ist, dass der Alltag eines Großteils der Bevölkerung sich immer ähnlicher wird. Es gleichen sich weltweit viele mittlere Großstädte mit Büros und anonymen Wohnsiedlungen in den Vororten. Die Neubau-Geschäftsstraßen in vielen mittleren Städten Asiens, Afrikas und Südamerikas, geprägt von Garagenmetalltoren-Shops und deren Schildern sind ebenfalls sehr austauschbar.
Beim Reisen ist man eindeutig NICHT auf der Suche nach dieser oben beschriebenen Eintönigkeit, nach diesem „wirklichen“ Leben.
Man sucht die „Highlights“, das echte Erleben mit „Einheimischen“.
Dieses „echte Leben“ soll aber möglichst nicht schmutzig, vermüllt oder gar geruchsintensiv sein, sondern soll sich möglichst harmonisch und sauber präsentieren und unserer Vorstellung von „natürlich“ entsprechen. Unser verklärtes, westliches Bild vom romantischen, glücklichen „Wilden“ spielt da eine große Rolle, sage ich nun etwas überkritisch…
Als ich heuer zu Jahresanfang in Sri Lanka durch die vielen echten Fischerdörfer entlang der “Traumstrände” nördlich von Negombo spazierte und all die Berge von Plastikmüll, den Gestank der schwelenden Müllfeuer und die sehr ärmlichen Lebensumstände erlebte, merkte ich: „Das ist nicht das Bild, das ich selbst als Tourist von diesem Land suche und mit nach Hause nehmen möchte!“
Bei Reisen in westliche Länder interessiert mich auf meiner Urlaubsreise ja auch eher weniger der “authentische Alltag” der Bevölkerung zwischen Büro, Stau im Berufsverkehr und endlosen Vorstadtsiedlungen!
In Sri Lanka besteht andererseits ein sehr professionell gemachter Tourismus:
In den letzten Jahren sind sehr viele sogenannte “Boutique-Hotels” inkl. Ayurveda-Behandlungen rund um die Insel aus dem Boden geschossen. Diese umfassen oftmals weit über 100 Zimmer, bieten üppige Abendbuffets und den allabendlichen Auftritt der hauseigenen Hotelband! Finanziert werden/wurden diese Anlagen von Investoren, nicht selten auch aus Singapur oder aus dem Westen.
Auch solche Unterkünfte habe ich auf meiner Erkundigungsreise in Sri Lanka kennengelernt: Für mich als nachhaltigen Reiseveranstalter ist so ein Aufenthalt aber eher ein “Albtraum” als mein “Urlaubstraum”, denn diese Anlagen sehen auf Bali, in Thailand und anderswo völlig gleich aus und sind austauschbar.
Ja, und wir bei Weltweitwandern bewegen uns also sehr bewusst und behutsam genau in dem Bereich zwischen diesen “Hotelburgen” des Massentourismus (die ja optisch wunderschön sind und gar nicht mehr nach Burgen aussehen) und dem “zu banalen” oder “zu verschmutzten” Alltag.
Dieses Suchen nach dem “Besonderen” funktioniert auch sehr gut, und wir finden da immer wieder tolle Sache für unsere Gäste:
Unvergessen bleiben uns:
- die eine Nacht in einer offenen Wildhüterhütte mitten im Yala-Nationalpark umgeben von den Geräuschen des Urwaldes,
- die kleine Hotelanlage mit nur 10 Zimmern inmitten von Palmen an einem einsamen Strand im Norden von Sri Lanka,
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- das Bauernhof-Quartier einer inzwischen mit uns befreundeten Familie,
- das würdevolle, alte Kollonialhotel aus der Zeit der Engländer inmitten der alten Stadt Kandy
Aber auch (das sind die getesteten Unterkünfte, die wir NICHT ins Reiseprogramm aufnehmen werden):
- Das Boutique-Hotel mit der lauten Band, dem riesigen und lauten Abendbuffet und der doch wunderbaren Lage direkt am Strand, mit dem allabendlichem „Discowummern“ aus 10 verschiedenen Strandbars…
- Die Nacht in einem reizfreien Privatquartier mit ob des Regenwetters völlig überforderten Gastfamilie….
Mein persönliches Fazit:
Es ist gar nicht so einfach, eine optimale Weltweitwandern Reise zu gestalten.
Das ist mir in Sri Lanka sehr, sehr bewußt geworden!
Es geht, bedarf aber großer Achtsamkeit, denn der Grat zwischen zu „massentouristisch“ und zu „banal“ ist oft wirklich schmal.
Manchmal bewegen wir uns da zugegebenermaßen durchaus in leichten Randbereichen, wir wollen/können ja auch nicht völlig realitätsfern reisen:
Ein schönes Boutiquehotel kann eine gute Lösung sein um am Ende der Reise einige Tage auszuspannen.
Ein Besuch bei den Fischern ist spannend, auch wenn es dort viel Plastikmüll zu sehen gibt. All das ist ja auch das „wirkliche“ Leben!
Dazwischen suchen und finden wir aber allerorts zum Glück noch viel schöne, saubere Natur und alte Geschichte und schöne Begegnungen. Gerade unser Natur- und Wanderschwerpunkt erleichtert das ja und so führen wir Gäste immer zu ausgesucht schönen Plätzen.
…all das andere gibts aber auch und das ist eben auch die Realität auf unserer Welt!
..sagt ein ob der Erkundigungsreise auf Sri-Lanka doch nachdenklich gestimmter
Christian Hlade
PS: Wie seht Ihr das? Freue mich über euer Feedback!
PPS: Hier noch ein Artikel aus der „Welt“ zum Thema von Philipp Laage:
http://www.welt.de/reise/Fern/article136825780/Alles-erleben-aber-bloss-kein-schnoeder-Tourist-sein.html
Lieber Christian,
gerade für uns, die in einem touristischen Gebiet leben und hier Touristen führen sind diese Spannungsfelder täglich spürbar. Was ist denn authentisch…. etwadie fast 90 jährige Bäuerin, die im romantischen Outfit einen Kübel frisch geerntete Kartoffeln vom kleinen Feld Schritt für Schritt und ihre kleines heruntergekommenes Haus schleppt. Die das für ihr Überleben macht, weil die Rente nicht reicht und die vielen Kinder schon gestorben oder ausgewandert sind. Die Dame lächelt freundlich wir tragen ihr den Kübel bis vor ihr Haus. Einige in der Gruppe murren schon, weil wir für die 200m fast15 Minuten brauchen. Sie wollen möglichst viel erleben und sehen von der Insel in der einen Woche wo sie da sind. Die alte Frau war ein gutes Fotomotiv und macht sich gut im Fotobuch von der Urlaubsreise. Wir können nicht alle Dinge lösen, aber wir können schauen, dass möglichst viel vom „Reisepreis“ im Land bleibt und unter die Leute kommt, nur so wird sich deren Situation lösen und die alte Dame wird mehr als 60 Euro Rente im Monat bekommen und Hilfe, wenn sie einmal nichtmehr aufs Feld gehen kann. Das ist eine der grössten Motivationen warum wir mit Weltweitwandern zusammenarbeiten. Das ist für uns „Fair Tourismus“. Weltweitwandern hat eine kleine Struktur in der Menschen arbeiten um in Österreich zu leben. Sie verdienen Ihren Lebensunterhalt (der ihnen ein angemessenes Leben in österreichischm Standard ermöglicht) mit der Planung, Organisation und dem Verkauf von Reisen. Aber Weltweitwandern – die Firma – macht keine Gewinnmaximierung im Sinne von Sharehoilder Value. Dien Firma erlaubt, dass Geld und auch möglicher (durch Gewinnoptimierung entgangener) Gewinn in die Reiseländer kommt. Das Gegenbeispiel, dass wir hier immer sehen sind die Kreuzfahrtschiffe, die täglich auf Madeira anlegen. Die Reise ist in Deutschland verkauft, die Ausflüge sind in Deutschland verkauft, das all-inclusive Essen ist in Deutschland verkauft. Wie Ameisen verlassen die Kreuzfahrtschiff Touristen das Schiff und überschwemmen die Stadt. Jetzt sogar mit dem mitgebrachten E-Fahrrad. Kein Taxifahrer macht mehr ein Geschäft, zum Essen geht es zurück aufs Schiff, Souvenirs werden keine mehr gekauft, Weil das Reisegepäck es schon zu schwer ist. Die Ausflüge werden mit den eigenen Agenturen durchgeführt. Das Authentische erleben, heisst das Echte zu erleben, wie es eben ist. Manches ist schön, manches ist hässlich, manches ist traurig, manches melancholisch, manches romantisch. Die Mischung macht es. Man findet seinen Traumplatz, aber man schaut nicht weg. Man kann mit einem kleinen Trinkgeld, oder mit dem Kaufen von Obst bei Strassenhändlern viel bewegen. Es ist nicht die Frage on und wieviel Trinkgeld man geben soll, es ist einfach die Frage was man geben will. Menschen und Länder verändern sich, aus dem romantischen Eselskarren wird das Moped, ein Wellblechdach schützt besser gegen Regen als Bananenblätter, auf einem Gasherd kocht sich besser, als auf der offenen Feuerstelle, über eine guten Strasse kommt man täglich schnell von zu Hause zur Schule an die Universität oder zum Verwandtenbesuch ins Krankenhaus. Faire Bezahlung für Tourismus ermöglicht es dann eben auch kleinen Hotels, Unterkünften, Agenturen, Klein-Busfahrern,Taxis, Bauern, kleinen Kneipen zu überleben und die schönen Flecken bleiben erhalten. Armut darf nicht zu Elend werden. Das gibt es leider nicht nur in fernen Ländern sondern auch direkt bei den Reisezielen in Europa.
Es ist nicht immer einfach mit den Lebensbedingungenandere Kultur klar zu kommen. Aber man soll wertneutral mit den Gegebenheiten umgehen. Ich persönlich profitiere immer aus solchen Begegnung und Situationen. Und lerne mein Leben sehr zu schätzen.
Hallo Christian! Ein wichtiges Thema, es wird in Zukunft nicht leicht werden, den immer steigenden Erwartungen der KundInnen nach Autenzität und Exklusivität gerecht zu werden. Daher braucht’s Guides vor Ort, die sich dieser Problematik bewusst sind und dementsprechend reagieren….
Ich möchte mich für diese (selbst)kritischen Worte bedanken. Aus all den oben genannten Gründen reise ich – NICHT. Ich habe für mich beschlossen, solange zu warten, bis ich mir die nötige Zeit für eine respektvolle und nachhaltige Begegnung nehmen kann. Ich möchte auch nicht (in bester Absicht) „betrogen“ werden um das Echte, weil es stinkt, oder mich schockiert, oder Angst macht, weil ich es nicht verstehe. Zugleich will ich mich aber auch nicht ständig schämen und grausen und verzweifeln ob der Unfassbarkeiten…
Was mich eventuell reizen könnte, weil ich alles Schöne dann auch genießen könnte, wäre parallel zu arbeiten. Ich würde einen Teil meiner Zeit gerne sinnvoll und nachhaltig verschenken! Was bauen, reparieren, Wissen vermitteln – und dabei von Anderen profitieren, indem ich sie und ihre Fertigkeiten erlebe und ECHTE Begegnung entsteht. Es gibt viele Ausgleichsmittel – warum solls denn immer Geld sein? Mich würde es befriedigen , gemeinsam zu schaffen, zu feiern, und etwas von Wert zu hinterlassen. Liebe Grüße, Petra
Hallo Petra!
Also Nicht – Reisen finde ich keine gute Lösung….
Reisen beinhaltet Widerspüche, regt zum Nachdenken an, erweitert den eigenen Horizont gewaltig. ..
Reisen muss ja auch nicht immer weit und/oder teuer sein.
Tolle Reisen beginnen in österreichischen Tälern, in Ungarn, ….
Lass Dich nicht durch meine Gedanken bremsen….
Wer nichts versucht (nicht reist) kann nicht einmal scheitern… (frei nach Reinhold Messner, den ich gestern gehört habe)
Liebe Grüße
Christian
Hallo „Weltweitwandern“……lieber Christian…war 2 x,in Abständen von 5 Jahren 2Monate mit meinem Lebenspartner in Südamerika unterwegs nur mit Rucksack, abseits vom gr. Tourismus,eigenständig und eigenverantwortlich…wir haben Land und Leute kennengelernt,sind überall nett und freundlich aufgenommen worden,es ist schlimm zu erkennen, was mit unserer schönen Welt passiert…gratuliere dir zu deinen Gedanken über „authentisches Erleben“.
ps. liebe Grüße an deine Frau …ich war einmal ihre Turnlehrerin in Wolfberg.
mit lieben Grüßen und weiterhin Erfolg mit „Weltweitwandern“ Helga Wagner
Lieber Christian,
schöner Beitrag, es freut mich so dass auch Tourismusprofis sich mit solchen Themen beschäftigen :) Ich habe Tourismus und Kulturanthropologie studiert und ich beschäftige mich viel mit dieser Frage aus beiden Perspektiven…Du hast absolut recht, dass wir als Touristen (aber auch die Tourismusanbieter) unsere Augen für die Realität in unseren Reisezielen absichtlich schließen. Wir reden uns ein, dass wir die „authentisches“ erleben und wir glauben uns sogar! Ich habe als Kulturanthropologin extra danach gesucht, was die TourismusanbieterInnen vor den TouristInnen „verstecken“ und es sind genau diese dinge, die du beschreibst…ein Reiseleiter würde das nie seiner Gruppe zeigen…also werden unsere Reisen zu einer großen Lüge, die uns aber gefällt…Wir müssen einfach einsehen dass die Kultur keine Konstante ist: der Alltag in den von uns bereisten Ländern ändert sich, teilweise durch den Kontakt zu Touristinnen, teilweise durch andere Einflüsse der Globalisierung. Deswegen ist Authentizität auch keine Kategorie, die wir verwenden können um die Kultur zu beschreiben und zu erklären. Die Authentizität einer Kultur wurde von der Tourismusbranche erfunden. Die Welt nach der wir bei unseren Reisen suchen ist die Welt von vor 50 Jahren…die werden wir aber nie wieder finden. Genau über diese „Zeitreise“ schreibt ein sehr guter Kulturanthropologe den ich dir nur empfehlen kann, wenn dich das Thema interessiert. Dean MacCannell schreibt in „The Tourist: A New Theory of the Leisure Class“, dass die Authentizität die wir als Touristinnen immer anstreben „staged authenticity“ ist und dass wir die „backstage“ einfach nie sehen und erleben…das ist ja der große Widerspruch! Dir kann ich nur raten dass du auf eurer Reisen versuchst den Leuten die echte Welt zu zeigen, so wie sie heute ist, und nicht nur so wie sie mal war!
Großer Respekt für eure Arbeit und für deine Denk- und Arbeitsweise…ich werde mich sicherlich auch in Zukunft viel mit dem Thema beschäftigen und würde mich freuen dir mal zu begegnen wenn ich mal ein Interview brauche für ein Forschungsprojekt! ;)
LG
Maria