Bei unserer Familien-Indienreise zum Jahreswechsel 16/17 wurden wir Zeugen – und zum Teil auch persönlich Betroffene – eines gewaltigen wirtschaftlichen „Feldversuchs“.
Unsere bange Frage lautet nun: Crasht demnächst die große Volkswirtschaft von Indien?
Und: Welche Folgen wird das für die restliche Welt haben?

Indien schafft das Geld ab!?

Die „bargeldlose Gesellschaft“ als Vision, ja das haben wir schon aus skandinavischen Ländern gehört. Aber auch dort ist man noch immer ein gutes Stück entfernt davon, das Bargeld wirklich gänzlich abzuschaffen.
Nicht so in Indien: In diesem bevölkerungsreichen und stellenweise sehr strukturschwachen und armen Land läuft gerade – fast unbemerkt vom Westen – eines der ganz großes historischen Wirtschaftsexperimente mit völlig ungewissem Ausgang. Premierminister Modi setzt seit Ende 2016 seine Vision einer bargeldlosen Gesellschaft – trotz gewaltiger Probleme – unbeirrt und mit wirklich harten Maßnahmen um. Indien verfolgt damit derzeit eine große – in ihrer Auswirkung nicht geprüfte und im Ausgang völlig ungewisse –  wirtschaftliche Utopie!

Das Ziel der indischen Wirtschaftsutopie

Alle Löhne, wirtschaftliche Transaktionen zwischen Unternehmen, aber auch der Großteil der privaten finanziellen Transaktionen sollen  – so das von Indiens Premierminister Narendra Modi ausgesprochene Ziel  – in Zukunft bargeldlos abgewickelt werden.

Als Grund und Ziel der aktuell extrem harten Aktionen gibt die Regierung die Bekämpfung von Geldfälschung, von Schmier- und Schwarzgeldzahlungen und Korruption, die Bekämpfung von illegalem Drogen- und Waffenhandel und Terrorismus. Auch eine Umverteilung von Reich zu Arm wird durch das Abschaffen vom Bargeld angestrebt: Die Reichen sollen auf diese Weise gezwungen werden Ihre Vermögen und ihr Einkommen zu deklarieren und Steuern dafür zu bezahlen. Das vielfach geheim gehortete Geld der Reichen soll so zum Vorschein kommen. Aus den vielfach illegalen Beschäftigungen im riesigen „informellen Sektor“ (dem überwiegenden Teil der indischen Wirtschaft!) sollen offizielle, gesetzlich geregelte Arbeitsverhältnisse, bezahlt mittels Überweisungen auf die Arbeitnehmerkonten, werden.

Es gab und gibt in Indien unter der Bevölkerung durchaus recht breite Unhterstützung für diese Sichtweise und diese Argumente!

Die Maßnahmen: Holzhammermethoden statt langfristiger Vorbereitung.

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Alle 500er und 1000er Banknoten wurden im November 2016 ganz überrascvhend und praktisch „über Nacht“ aus dem Verkehr gezogen und sind nun nicht mehr gültig.

Im November 2016 wurden – für alle Inder völlig überraschend und quasi über Nacht – alle Banknoten über den 100.- Rupienscheinen (=EUR 1,4.-) für ungültig und illegal erklärt. Mit dieser Aktion wurde 85% des existierenden Bargeldes im Land über Nacht ungültig! (http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-11/indien-korruption-rupie-geldschein-austausch-narendra-modi, oder auch: http://www.tagesschau.de/ausland/indien-geld-101.html

Die Produktion von neuen Geldscheinen im Wert von 500.- und 2.000.- (EUR 7.- bzw. 24.-) verlief viel zu langsam, die verfügbaren Scheine von 100.- Rupien waren für das bevölkerungsreiche Indien viel, viel zu wenige.
Es gibt seither (das sind nun schon über 2 Monate) einfach ganz krass zu wenig Bargeld im Land.
Bargeldabhebungen von Banken wurden praktisch gestoppt, selbst Firmen dürfen kaum – oder nur extrem eingeschränkt Bargeld beziehen. Für Touristen gilt ein Höchstwechselbetrag bei offiziellen Banken von EUR 70.- pro Person pro Woche!!!
Bankomatabhebungen wurden auf Rupies  2.000.- pro Tag pro Karte (= EUR 24.-) reduziert.Viele Bankomaten hatten aber wegen der Geldknappheit ohnehin häufig kein Geld.  Von uns auf unserer Reise sehr häufig gesehene, meinst handgeschriebene Infoschilder: „ATM out of Order“ „ATM temporary not working“…
Diese Maßnahme war durchaus auch beabsichtigt, weil man die Menschen damit zwang die alten Banknoten in der Bank auf ofizielle Konten einzuzahlen, weil die Banken keine neuen Banknoten zum tauschen hatten.

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Von uns auf unserer Reise sehr häufig gesehene, meinst handgeschriebene Infoschilder: „ATM out of Order“ „ATM temporary not working“…

Vor den wenigen funktionierenden Bankomaten bildeten sich Monsterschlangen, die hinteren Wartenden immer völlig ungewiss ob der Geldvorrat für sie noch ausreichen würde…
Diese Menschenschlangen vor den Bankomaten wurden während unserer gesamten Indienreise zum gewohnten Anblick.

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Diese Menschenschlangen vor den Bankomaten wurden während unserer gesamten Indienreise zum gewohnten Anblick.

 

Die Folgen: Extreme Einbußen in vielen Wirtschaftsbereichen

Der Tourismus im Süden von Indien – dessen Hauptsaison ja im Winterhalbjahr ist – schrumpfte heuer extrem. Geschäfts- und Hotelbetreiber in Goa klagten uns von einer extrem schlechten Weihnachtssaison. Die meisten Bars und Restaurants blieben selbst zur normalerweise stärksten Saison des Jahres gähnend leer, genauso wie die Geschäfte und Märkte.
In den Zeitungen lasen wir, dass Bauern verzweifelt sind, weil sie nun wegen Bargeldmangel kein Saatgut und Dünger kaufen konnten und daher nun oft die Felder nicht bestellen. Die Preise für Agrarprodukte seien zudem aktuell extrem niedrig, weil sehr wenig verkauft werden kann. Manche Produkte können gar nicht verkauft werden. Eine Fischverkäuferin klagte extrem, weil sie gar keine Fische mehr verkaufen konnte und ihre Produkte sich ja auch nicht lagern lassen.
Arbeiter – die in Indien ja fast überwiegend Tagelöhner sind – werden nach Hause geschickt, weil kein Bargeld für deren Arbeit verfügbar ist.

Hintergründe und Analysen aus indischen Medien

Indische Nachrichtenmagazine (India today, Times of India, etc.) schreiben von einem bereits jetzt schon spürbaren Rückgang der Wirtschaftsleistung bis hin  zu einem befürchteten Schrumpfen der bislang stark wachsenden indischen Wirtschaft.

India today, z.B. schrieb, dass aktuell noch über 80% der indischen Wirtschaftsleistung im informellen, unregistrierten Sektor stattfinden würde.

Zudem hätten an die 70% der indischen Bevölkerung aktuell nicht einmal theoretisch (und auch nicht praktisch) die Möglichkeit  eines Zuganges zu einem eigenen Bankkonto, weil es viel zu wenige Banken in Indien gäbe – in vielen ländlichen Regionen gibt es gar keine Banken.

Vor diesen Hintergründen und auch wenn man als Reisender die Armut und die schwache Infrastruktur weiter Landesteile sieht, scheint der Plan der „Demonetarisation“ von Indien einfach aberwitzig, völlig abstrakt – ein Produkt abgehobener Politiker in Elfenbeintürmen!

Es bleibt spannend, wie es ausgeht

Bei unserer Abreise aus Indien am 8. Jänner 2017 war dann die Lage nur ein wenig entspannter. Die Schlangen vor den Bankomaten waren weniger geworden. Mein indischer Mobiltelefonanbieter sendete jeden zweiten Tage Nachrichten für Angebote für bargeldlose Zahlungssysteme via Mobiltelefon. Dieser Bereich „bargeldlose Zahlungssysteme“ wird sicher DER große Wachstumsbereich hier in Indien!
Ev. hat ja die indische Regierung gute Kontakte zu diesen Wirtschaftszweigen…. (Das ist nicht nur meine private Verschwörungstheorie, das mutmaßen auch Nachrichtenmagazine…)

Ich werde auf alle Fälle weiter mitverfolgen, wie dieses – auf mich ziemlich wahnsinnig wirkende  Wirtschaftsexperiment – in Indien weitergeht. Ich halte die Daumen, dass Modi sein Land damit hoffentlich nicht in den Abgrund treibt und eventuell noch vorher die „Notbremse“ zieht, wenn das dann noch möglich ist bei diesem riesigen Land….
Liebe Grüße aus Sikkim, Goa und Delhi

Christian Hlade & Family

Comments ( 11 )

  • Ruth Friedrich

    Sehr interessanter Bericht, herzlichen Dank für die interessante Beschreibung und Analyse. Erstaunlicherweise hört und sieht man bei uns gar nichts davon. L. G. Ruth Friedrich

  • WUASCHT

    Mir gefällt der Titel der Seite schon einmal nicht. Nur weil man Weitwanderweltmeister ist und vor Ort Leid sieht, ist man lange kein Wirtschaftkenner der jetzt die Apokalypse beschreibt ökonomische Dystopie vorraussagt und jedes Handeln alleine hinterfotzigtes institutionelles Ausrauben der kleinen Menschen als Motiv hat. Das sehe ich hier (noch) nicht….

    1. es wurde sehr wohl darüber viel berichtet.

    2. Indien schafft nicht das Geld ab. Geld =/ Währung bitte googlen.

    3. Indien schafft nicht mal seine Währung ab sondern 2 (wichtige) Banknoten.

    4. 80% der Wirtschaft entzieht sich der Steuerkontrolle – Steuern heißen Steuern weil die Regierung damit das Land STEUERT. Kann es aber heute nicht- das ist ein RIEEEESEN Problem – denn es muss gerade jetzt große Infrastrukturreformen angehen. Klar muss man die Notbremse ziehen, sonst hat man in 20 Jahren noch immer Pferdekarren neben Glaspalästen.

    4. Auch wenn dieser Schritt für viele mühsam ist – wenn Indien in 10 Jahren eine mo(r)derne Wirtschaftsmacht sein will, braucht es Kontrolle über mehr als 20% der Aktivitäten im eigenen Lande. Indien – bzw. die InderInnen werden auch das überleben. Ausbildung, Schulen, Klassenunterschiede, soz. Einrichtungen, Straßen, Wasser (!), med. Versorgung für 1Mrd Menschen kann nicht von 200.Mio bezahlt werden – geht sich nicht aus, wie die Vergangen zeigte.

    Wenn mit dem Mehr an finanz. Kontrolle und mehr an Steuer-Geld nur Schindluder getrieben wird – dann ist dass ein anderes Problem – aber ich sehe diesen Schritt für hart, aber notwendig und finde es bewundernswert wenn man etwas in Angriff nimmt, bevor ein Problem noch 100x größer wird.

    Mögen die Ziele im Laufe der Zeit nicht aus den Augen geraten.

    • Christian Hlade

      Lieber/e Wuascht! (Wie lautet eigentlich ihr wirklicher Name?)
      Danke für die Gedanken!
      Natürlich würde viel berichtet – in Indien sind die Zeitungen da gerade voll mit dem Thema, aber auch in Europa, einige interessante links und Hinweise /Zitate sind in meinem Artikel, hier gerne nochmals:
      http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-11/indien-korruption-rupie-geldschein-austausch-narendra-modi, oder auch: http://www.tagesschau.de/ausland/indien-geld-101.html

      Ein befreundeter Journalist, der immer wieder über Indien berichtet meinte zum Thema:
      „Der eigentliche Grund dürften wohl die Wahlen in drei Bundesstaaten sein. Die BJP, Regierungspartei hat sich vermutlich rechzeitig mit gueltigem Geld eingedeckt um die Opposition sitzt jetzt auf Beben ungültiger Scheine u kann keine Stimmen kaufen. Modi, das Marketing Genie verkauft es als Feldzug gegen BlackMoney.“

      Das Problem mit dem Schwarzgeld – das extrem ist, da gebe ich Ihnen recht – ist, daß dieses zum Großteil gar nicht in Rupien, sondern in anderen Währungen im Ausland liegt…

      PS: Bitte um einen etwas weniger agressiven und weniger abwertenden Ton in der – total wichtigen -Diskussion! Danke!
      lg Christian

  • Peter Ehrlich

    Hallo Christian,

    das ist ein interessanter Beitrag. Das erinnert mich an den deutschen Finanzminister, der in Deutschland auch das Bargeld abschaffen will. Er ist eine Marionette der Hochfinanz. Die Arbeiten für die Umsetzung laufen im vollen Gange. Das Internet wird ausgebaut; der Onlinehandel wird forciert; Verkehrsminister Alexander Dobrindt, will künftig alle Tickets im Verkehr online verkaufen. Ich denke in Deutschland, wird das künftig für Kleinhändler gleiche Folgenhaben, wie in Indien. Ich will damit sagen, dass das künftig kein indisches Problem werden wird, sondern eins für uns alle. Wir müssen hier fragen, wem das dient? Meine jetzige Antwort: Nur, nur allein der Hochfinanz.

    Viele Grüße
    Peter

  • Heinz Vogel

    Lieber Christian!
    Vielen Dank für den sehr interessanten, wenn auch beklemmenden Artikel! Obwohl ich mich sehr für die (Welt)Wirtschaft interessiere, ist mir dieses Thema in Indien neu.
    Eine Krise mehr, als ob es nicht schon schlimm genug wäre in unserer schönen Welt……
    Ich danke schon heute für Updates, wenn du wieder neue Info’s hast.
    Hoffentlich kann ich bald wieder mal mit euch verreisen- die Reisen nach Indien und in die Mongolei haben echt Wirkung hinterlassen bei mir!
    Alles Liebe Heinz Vogel

    • Christian Hlade

      Ja, da gebe ich Dir völlig recht, Daniela!
      Menschenhandel, Kindesraub und erzwungene Prostitution sind ein gruseliges Thema und echt ein riesen großes Problem in Indien und auch im benachbarten Nepal! Jede Maßnahme, die dieses grauslige Geschäft eindämmt und bekämpft ist wichtig!!

      In Indien gibt es durchaus viele positive Stimmen und viele Argumente für diese Demonetarisation.
      Ich habe nur bemerkt, dass halt gerade die Menschen mit niedrigen Einkommen auf Märkten viel mehr betroffen und geschädigt wurden, also die reichere Schichte mit ihren Smartphones und Kreditkarten…

  • Mr.Wuascht

    Mag durchaus sein, dass da noch politische Facetten mitspielen (Wahlen, Regierung und Opposition) und ich bin mir sicher es werden wieder einige durch diesen Coup steinreich werden, jedoch, und davon bin ich überzeugt, ist die primäre Absicht nicht die breite Masse zu enteignen.

    In keinster Weise wurden in den Medien die rettenden langfristigen Aspekte der Aktion genannt, nur das Chaos und die unzureichende Geldliquidität der ATMs. Vielleicht lassen sich Parallelen ziehen zu der Euro500er Aktion der EU, aber ich kann hier nicht erkennen nach ca. 1/2 Jahr was es gebracht haben soll. Hat die alte Oma ihre 50.000 Euro nicht in 100Scheinen sondern in 250Scheinen in der Matratze versteckt.

  • Leonhard Schlögel

    Vielen Dank für diese Eindrücke aus Indien.
    Ich kenne das Land von drei Reisen, und mir war es ein Rätzel wie sowas ausgerechnet in Indien gehen sollte, dazu ist das Land einfach zu komplex. So sind Ihre Eindrücke genau das was ich mir vorgestellt hatte. Gerade die Situation im ländlichen Indien gab mir sehr zu bedenken, sowie alle generell Armen und meine damit entsprechende Gebiete in den Megastädten. Ich kann mir vorstellen das in Indien sehr viele Menschen zwangsläufig ohne ein Bankkonto leben, und diese bekommen dann zu dem ohnehin schwierigem Überleben noch zusätzliche Probleme. Ich war damals beim Tsunami 2004 in Mahamabalipuram in Tamil Nadu, habe dort in einem Bildhauerstudio gearbeitet, und war somit näher an den Menschen und überhaupt an Indien dran. Die extreme Situation hat mich tief blicken lassen in die Mentalität um nicht zu sagen Abgründe von den Menschen. In dieser extremen Situation hatte die Regierung nichts unsinnigeres zu verortnen wie ein dreimonatiges Fischverbot, und hat somit vielen Menschen die Exsistenzgrundlage entzogen. Diese wiederum erwarteten „versprochene“ Hilfe von der Regierung, wovon so viel wie nichts bei den Betroffenene angekommen ist, der Großteil dessen ist einfach versunft. Schuld daran ist ein immer noch rigeroses Kastendenken, und das geht bekanntlich von Oben nach Unten. Leonhard Schlögel

  • Selvamaya

    Danke für den Bericht! Ich war selber oft in Indien. Wie soll das funktionieren, was machen die Street Food Händler z.B. ? Soll man sein Essen am Straßenstand mit Karte bezahlen? Das ist doch alles sehr absurd. Wie sieht es in der Praxis aus, hast du da Infos??? Oder bleiben die „kleinen“ Scheine dauerhaft erhalten?
    Mr. Wurst o.ä. war glaube ich noch nie in Mama India, sonst würde er so etwas nicht schreiben…danke nochmals und LG* Selvamaya

  • Pascal

    Ein ganz toller Bericht. So kann man sich einen sehr guten Eindruck davon machen, wie sich vor Ort alles abspielt. Vielen Dank dafür.

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